Universität Bielefeld
50 Jahre
Fakultät für Mathematik
Chronik

Jubiläum 25 Jahre

Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Universtität Bielefeld erschien 1994 im Verlag für Regionalgeschichte eine von Prof. Dr. Peter Lundgreen herausgegebene Festschrift mit dem Titel „Reformuniversität Bielefeld 1969-1994: Zwischen Defensive und Innovation“. Einige der Kapitel dieser Festschrift betrafen die Fakultät für Mathematik und werden im Folgenden wiedergegeben.

Prof. Dr. Rudolf Ahlswede, Prof. Dr. Hans-Georg Carstens und Prof. Dr. Horst Leptin verfassten das Kapitel über die Fakultät für Mathematik:

Mathematik

Die Fakultät für Mathematik gehört zu den ersten der Universität Bielefeld. Sie nahm den Lehrbetrieb im Wintersemester 1969/70 auf. Die im wesentlichen bis heute bestehende Grundstruktur der Fakultät wurde bereits damals festgelegt. Als ordnendes Prinzip wurde die Gliederung der Mathematik in drei Bereiche zugrunde gelegt: Algebra, Analysis, Angewandte Mathematik. Ein Zweck dieser Dreiteilung ist es, zu sichern, daß die wesentlichen Gebiete der gegenwärtigen Mathematik in hinreichender Breite in der Fakultät vertreten sind. Sie soll also der Gefahr der Einengung auf wenige Spezialgebiete, wie aktuell diese auch immer sein mögen, entgegenwirken. Auf eine weitergehende Festlegung der Struktur etwa durch die Kultivierung des klassischen Lehrstuhlprinzips, wurde bewußt verzichtet, da mit dieser die Gefahr der Atomisierung der Gesamtarbeit an der Fakultät einhergeht. Konsequenterweise gab es auch keine formale Zuordnung von Assistenten zu ordentlichen Professoren, und der Schreibdienst wurde als Pool eingerichtet. Allerdings setzte sehr bald eine gegenläufige Entwicklung ein. Heute haben wir durchgehend eine Zuordnung der Assistenten, und im Schreibdienst fahren wir »zweigleisig«. Unverändert beibehalten wurde das Dekanat zur zentralen Verwaltung aller Mittel der Fakultät.

Die Gliederung der Mathematik in die Bereiche Algebra, Analysis und Angewandte Mathematik bedeutet selbstverständlich keine präzise Inhaltsbestimmung oder scharfe Abgrenzung von Teilbereichen der Mathematik. So war von Anfang an auch etwas umständlicher von »Algebra und Zahlentheorie«, »Analysis einschließlich Topologie« und »Angewandter Mathematik und Mathematisierung« die Rede. In der Aufbauphase spielten diese Einteilungen bei Stellenausschreibungen und Besetzungen eine ziemlich große Rolle, da sie als formales Korrektiv für einen balancierten Aufbau der Fakultät dienten. Aber sowohl in dieser Phase der Fakultät als auch später war es für die meisten Mathematiker eine Selbstverständlichkeit, daß Personalentscheidungen an einer Universität unter dem Primat der wissenschaftlichen Qualität zu stehen haben. Wo diese deutlich erkennbar war, gab sie den Ausschlag gegenüber Strukturkriterien.

Im Verständnis der Bielefelder Mathematiker bildet die Mathematik noch eine einheitliche Wissenschaft. Sie betrachten die oben erwähnten Einteilungen als vordergründig und als für die Wissenschaft geradezu schädlich, wenn man sie inhaltlich zu ernst nimmt. Aus diesem Grunde wurden sämtliche ordentlichen Professuren grundsätzlich »für Mathematik« und ohne weitergehende Einschränkungen eingerichtet. Um aber auf aktuelle Entwicklungen flexibel und gezielt reagieren zu können, wurden die anderen Professuren meistens fiir Spezialgebiete vorgesehen und bei Freiwerden auch oft ganz anders ausgerichtet. Eine Abweichung hiervon ergab sich, als im Jahre 1980 die Pädagogische Hochschule mit der Universität zusammengelegt wurde. Dies geschah gegen den Willen der meisten Hochschullehrer beider Institutionen nach dem Fach-zu-Fach-Prinzip. So erhielt die Fakultät ihre Abteilung II, Didaktik der Mathematik, und ordentliche Professuren für »Mathematik und ihre Didaktik«.

...

[Der vollständige Artikel findet sich in der pdf-Datei 25 Jahre - Fakultät.pdf.]

Rudolf Ahlswede, Hans-Georg Carstens und Horst Leptin, Mathematik.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags für Regionalgeschichte aus: Peter Lundgreen (Hrsg.), Reformuniversität Bielefeld 1969-1994: Zwischen Defensive und Innovation, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 1994, ISBN 3-89534-150-9.

Prof. Dr. Andreas Dress schrieb über den Forschungsschwerpunkt Mathematisierung:

Forschungsschwerpunkt Mathematisierung

Zu den drei ersten an der Universität Bielefeld gegründeten Fakultäten gehörte diejenige für Mathematik. Dabei spielte auch die Überzeugung eine Rolle, daß Mathematik über ihre klassischen Anwendungsfelder in Physik, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften hinaus in praktisch allen Einzelwissenschaften – von der Biologie und Chemie über die Sprachwissenschaften bis hin etwa zur Soziologie und Psychologie – kontinuierlich an Bedeutung gewinnen werde und daß es deswegen, so glaubte man jedenfalls noch damals, wichtig sei, in diesen Prozeß der Mathematisierung der Einzelwissenschaften von vornherein auch die Mathematiker selbst mit einzubeziehen. Dies geht nicht nur eindeutig aus den Gründungsdokumenten der Fakultät hervor; es wird vor allem durch die bereits in den Strukturmerkmalen von 1966 wie auch im späteren Aufbauplan II empfohlene Forderung der Erforschung von Anwendungsmöglichkeiten der Mathematik in den Einzelwissenschaften durch einen entsprechend ausgerichteten und interfakultativ angesiedelten Universitätsforschungsschwerpunkt unterstrichen.

Am 20.8.1973 wurde von der Forschungskommission der Universität eine Unterkommission eingesetzt; sie sollte »in Zusammenarbeit mit den Fakultäten feststellen, wo gemeinsame Problembereiche liegen, die mit Hilfe der Mathematik – durch Mathematisierung der Einzelwissenschaften – zu lösen sind«. Am 16.11.1973 konstituierte sich diese Kommission, und ein Geschäftsführer wurde eingesetzt. In einem Grundsatzbeschluß vom 26.3.1974 bezeichnete schließlich die Forschungskommission die Universitätsschwerpunkte als eines der wichtigsten Reformelemente der Universität Bielefeld: »Mit ihrer Einrichtung soll die Herstellung eines institutionell gesicherten Kooperationszusammenhangs von Fakultäten angestrebt werden. Die Schwerpunkte sollen weder Institute neben Fakultäten sein, noch sollen sie interdisziplinäre Forschung lediglich in Form einer Summation zufälliger Fakultätsinitiativen organisieren. Die Einrichtung der Schwerpunkte kommt damit einem immer stärkeren Bedürfnis der horizontalen Reorganisation der Wissenschaft nach, die über die disziplinären Grenzen der Fakultäten hinweg zu institutionalisieren ist.«

...

[Der vollständige Artikel findet sich in der pdf-Datei 25 Jahre - Mathematisierung.pdf.]

Andreas Dress, Forschungsschwerpunkt Mathematisierung.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags für Regionalgeschichte aus: Peter Lundgreen (Hrsg.), Reformuniversität Bielefeld 1969-1994: Zwischen Defensive und Innovation, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 1994, ISBN 3-89534-150-9.

Mit dem Institut für Didaktik der Mathematik befasste sich Prof. Dr. Hans-Georg Steiner:

Institut für Didaktik der Mathematik

Die 1973 erfolgte Gründung des Instituts für Didaktik der Mathematik (IDM) geht auf eine Initiative der Stiftung Volkswagenwerk zurück, die im Juli 1969 im Rahmen ihrer damaligen Förderung der Fachdidaktik in der Mathematik und den Naturwissenschaften – 1966 war in diesem Zusammenhang bereits das Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) an der Universität Kiel errichtet worden – ein Projekt "Gründung eines zentralen überregionalen Instituts für Didaktik der Mathematik (IDM)" für Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland ausgeschrieben hatte. Neben verschiedenen anderen Universitäten bewarb sich in Abstimmung mit der Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen die Universität Bielefeld, die im Januar 1972 den Zuschlag mit der Bewilligung von 9 Millionen DM für eine 5jahrige Aufbauphase erhielt. Im Mai 1972 nahm der vom Rektor der Universität Bielefeld eingesetzte Gründungsbeirat, der im Januar 1975 in den schrittweise vergrößerten, stärker interdisziplinär und international zusammengesetzten wissenschaftlichen Beirat umgewandelt wurde, seine Arbeit auf. Mit dem 1.1.1974 war ein personeller wissenschaftlicher Ausbaustand von 3 H4-Professoren und 8 wissenschaftlichen Mitarbeitern erreicht, der die Aufnahme einer hinreichend strukturierten und differenzierten Tätigkeit des Instituts in der Sichtung und Bearbeitung seines Aufgabenfeldes erlaubte. Anfang 1976 umfaßte der personelle Ausbaustand, auf den das Institut allerdings bereits jetzt angesichts der angespannten Haushaltslage im Hinblick auf die Ende 1976 mit Ablauf der Startphase erfolgende Übernahme in die Landesfinanzierung festgeschrieben wurde, 4 Professoren, 14 wissenschaftliche Mitarbeiter und 11 Nichtwissenschaftler.

...

[Der vollständige Artikel findet sich in der pdf-Datei 25 Jahre - IDM.pdf.]

Hans-Georg Steiner, Institut für Didaktik der Mathematik.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags für Regionalgeschichte aus: Peter Lundgreen (Hrsg.), Reformuniversität Bielefeld 1969-1994: Zwischen Defensive und Innovation, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 1994, ISBN 3-89534-150-9.

Von 1989 bis 2001 existierte an der Fakultät für Mathematik der Sonderforschungsbereich 343 „Diskrete Strukturen in der Mathematik“. Prof. Dr. Bernd Fischer schrieb darüber:

Diskrete Mathematik

Der Sonderforschungsbereich »Diskrete Strukturen in der Mathematik« (SFB 343) wurde zum 1.7.1989 eingerichtet und befindet sich zur Zeit in der sogenannten Zweiten Antragsphase. Mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft von jährlich etwa 2 Millionen DM werden 12 Teilprojekte gefördert. Was heißt »diskrete Mathematik«? Das Begriffspaar »diskret-kontinuierlich« wird am Spektrum eines Atoms deutlich: Es besteht einerseits aus abzählbar vielen diskreten Linien, deren Muster für das Atom charakteristisch ist, andererseits aus einem kontinuierlichen Band. Im Altertum war die Mathematik im wesentlichen diskret: Kommensurabilität war der zentrale Begriff, ohne den Längen von Strecken nicht verglichen werden konnten; diophantische Gleichungen standen im Zentrum mathematischer Forschung. Die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Beschreibung von Bewegungen (Achilles und die Schildkröte) wurden nicht beherrscht. Weltweit versteht man unter »diskreter Mathematik« das Studium diskreter Aspekte mathematischer Fragestellungen, vor allem die Untersuchung endlicher und abzählbar unendlicher mathematischer Strukturen. Dazu rechnet man die endlichen Gruppen, endlich erzeugte Algebren, Graphen, Matroide und Folgenräume, die Kombinatorik, simpliziale Komplexe, Pflasterungen und Stratifikationen in der Geometrie, diskrete Modelle in der Informationsverarbeitung und in der Statistik. Solche Strukturen spielen in weiten Bereichen der Mathematik und ihrer Anwendungsgebiete eine wichtige Rolle.

In den letzten Jahren erfährt die diskrete Mathematik einen starken Aufschwung, der insbesondere den Anwendungen in Gebieten, die mathematischer Modellierung zugänglich sind, zu verdanken ist. So werden heute in weiten Bereichen von Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung mathematische Erkenntnisse und Techniken unmittelbar benutzt, um die dort auftretenden Analyse- und Steuerungsprobleme zu bewältigen. Das liegt sicher zum einen daran, da8 diese Probleme größer und unüberschaubarer geworden sind; zum anderen werden mathematische Anwendungen durch die Entwicklung immer leistungsfähigerer Rechenanlagen erst möglich. Um aber einen Digitalrechner zur Lösung eines Problems nutzen zu können, muß das Problem notwendigerweise diskret formuliert sein. Zunehmend ergeben sich so aus praktischen Anforderungen neue mathematische Fragen: Soll ein Problem nicht von Fall zu Fall gelöst werden, bedarf es einer strukturellen Analyse und einer mathematischen Theorie. »Diskrete Strukturen in der Mathematik« ist eine Bielefelder Begriffsbildung. Sie soll die diskrete Mathematik umfassen, ohne den Eindruck zu erwecken, konkrete Anwendungen, etwa die Entwicklung von Chips, abzudecken; sie so1l aber auch Strukturen erfassen, die mit diskreten Invarianten beschrieben oder klassifiziert werden können.

...

[Der vollständige Artikel findet sich in der pdf-Datei 25 Jahre - SFB 343.pdf.]

Bernd Fischer, Diskrete Mathematik.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags für Regionalgeschichte aus: Peter Lundgreen (Hrsg.), Reformuniversität Bielefeld 1969-1994: Zwischen Defensive und Innovation, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 1994, ISBN 3-89534-150-9.

Ebenfalls zur Zeit des Universitätsjubiläums aktiv war das Graduiertenkolleg „Mathematik“, das Kapitel dazu stammt von Prof. Dr. Thomas Zink:

Mathematik

Das Graduiertenkolleg »Mathematik« wurde im Oktober 1989 rnit dem Ziel gegründet, begabte junge Menschen schnell an die relevanten Fragen der mathematischen Forschung heranzuführen. Mit der Themenwahl "Mathematik" wurde die Absicht verfolgt, den Kollegiaten eine Ausbildung zu geben, die es ihnen ermöglicht, Methoden anderer mathematischer Gebiete für ihr eigenes Spezialthema nutzbar zu machen.

Unter den auf recht verschiedenen Gebieten der Mathematik arbeitenden Mitgliedern des Graduiertenkollegs gab es einen regen Gedankenaustausch, der in einem von den Kollegiaten organisierten Seminar seinen Ausdruck fand. Dieser Austausch war möglich und fruchtbar, obwohl die Ausbildung der Kollegiaten in ihrem Arbeitsthema in den einzelnen Arbeitsgruppen der etwa 10 betreuenden Hochschullehrer erfolgte. Vom Graduiertenkolleg wurden Workshops durchgeführt, die sich an Kollegiaten unterschiedlicher Arbeitsgruppen wandten. Es wurden folgende Themen behandelt: Harmonische Analyse, Kac-Moody-Theorie, Darstellungstheorie, Tits-Gebäude, Kommunikationskomplexität und kombinatorische Optimierung. Coxetergruppen und platonische Körper, Matrixtheorie, Matroide, quadratische Formen und K-Theorie. Darüber hinaus gab es Gastvorlesungen, die speziell für die Kollegiaten konzipiert waren.

...

[Der vollständige Artikel findet sich in der pdf-Datei 25 Jahre - Graduiertenkolleg.pdf.]

Thomas Zink, Mathematik.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags für Regionalgeschichte aus: Peter Lundgreen (Hrsg.), Reformuniversität Bielefeld 1969-1994: Zwischen Defensive und Innovation, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld 1994, ISBN 3-89534-150-9.