Universität Bielefeld
50 Jahre
Fakultät für Mathematik
Chronik

Institut für Didaktik der Mathematik

Das „Institut für Didaktik der Mathematik (IDM)“ wurde als eine relativ unabhängige Einrichtung der Universität Bielefeld konzipiert und nahm 1973 seine Arbeit auf. Naturgemäß gab es von Anfang an eine Bindung an die Fakultät für Mathematik. Nach verschiedenen Umstrukturierungen wurde das IDM dann 2006 vollständig in die Fakultät für Mathematik integriert. Gert Schubring war viele Jahre lang am IDM tätig und hat 2018 im Shaker Verlag ein Buch über die wechselvolle Geschichte des Instituts vorgelegt. Der folgende Beitrag von ihm liefert einen knappen Abriss der Geschichte:

Das IDM – Aufstieg und Ende eines Forschungsinstitutes1

Die Gründung des IDM

Die Gründung des Instituts für Didaktik der Mathematik der Universität Bielefeld erfolgte als ein Teil der sozialpolitischen Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren, gekennzeichnet durch die Alarmrufe über einen „Bildungsnotstand“ und durch den Sputnikschock. Zu den eingeleiteten und relevanten Reformmaßnahmen in der Bundesrepublik gehörten die Gründung des Deutschen Bildungsrates 1966, sowie eine Reihe von Förderinitiativen der im Jahre 1961 gegründeten Stiftung Volkswagenwerk (im Folgenden kurz VW-Stiftung).

Die VW-Stiftung hatte seit 1963 eine umfassende Initiative vorbereitet, um Forschungs-Institute für die Fachdidaktiken zu gründen. Die erste Maßnahme galt – wohl nicht zufällig im Zuge der Diskussion um die Konsequenzen aus dem Sputnikschock – dem naturwissenschaftlichen Unterricht. Mit der Startfinanzierung durch die VW-Stiftung entstand 1966 das IPN, das Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften an der Universität Kiel, mit vier Abteilungen. Die nächsten Schritte galten vor allem dem Mathematikunterricht. Um dem Lehrermangel in Mathematik und den Naturwissenschaften abzuhelfen, wurde 1967 ein Stipendienprogramm zur Ausbildungsförderung für „Studierende und Referendare, die in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern die Lehrbefähigung für den Höheren Schuldienst anstreben“ aufgelegt.

Zugleich beschloss die Stiftung, ein Begleitprogramm zur Förderung der Didaktik der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer durchzuführen, da es die Förderung dieser Didaktiken als „Teil und Vorbedingung“ der notwendig zu verbessernden Lehrerausbildung sah. Das Kuratorium hatte dafür 45 Mio. DM zur Verfügung gestellt. Zur Ausarbeitung und Betreuung dieses Begleitprogramms hatte die Stiftung Hans-Günther Bigalke im Frühjahr 1968 als Referenten eingestellt. Im selben Jahr begann die Stiftung daher mit Vorbereitungen für die Ausschreibung eines zentralen fachdidaktischen Forschungsinstituts für die Mathematik. Diese Initiative war international nicht neuartig. Die Forderung nach der Gründung von Forschungseinrichtungen zum Mathematikunterricht war vielmehr seit Beginn der Modernisierungsbestrebungen erhoben worden, und erstmals formuliert von Marshall Stone, damals Präsident von IMUK/ICMI, in seinem Vortrag beim Seminar der OEEC 1959 in Royaumont, mit dem die internationale Reformbewegung zum Mathematikunterricht einsetzte (s. Schubring 2014).

Und beim ersten Internationalen Mathematischen Unterrichtskongress, ICME 1 in Lyon 1969, ist diese Forderung zum Beschluss erhoben worden, als Punkt 5 der Resolutionen:

“The theory of mathematical education is becoming a science in its own right, with its own problems both of mathematical and pedagogical content. The new science should be given a place in the mathematical departments of Universities or Research Institutes, with appropriate academic qualifications available.” (Proceedings ICME 1, 284)

In der Tat war in einigen unserer Nachbarländer als Teil der dortigen eindrucksvollen Reformbemühungen diese Forderung schon – oder teilweise – realisiert worden, so in Belgien seit 1961, in England und Frankreich seit 1968. Die Niederlande folgten in 1971. In den internationalen Entwicklungen wurde immer stärker gefordert, dass empirische Forschung erforderlich ist, um die Prozesse des Mathematik-Lernens besser zu verstehen. In den USA waren solche empirischen Forschungen schon seit dem ersten großen Curriculum-Projekt, der SMSG (School Mathematics Study Group) umfangreich praktiziert worden, in Rezeption – nach der Abkehr vom Behaviourismus – der sowjetischen Arbeiten zur Tätigkeitstheorie. Für den Mathematikunterricht wurden die dortigen Forschungen seit 1969 in den vierzehn Bänden der Serie Soviet Studies in the Psychology of Teaching and Learning Mathematics übersetzt.

Die Situation der Mathematik-Didaktik in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik war noch von der traditionellen Spaltung der Lehrerausbildung für Volksschulen und für höhere Schulen gekennzeichnet. Mathematik-Didaktiker gab es nur an den Pädagogischen Hochschulen. In ihren Berufungsvereinbarungen stand traditionell "Methodik des Rechen- und Raumlehreunterrichts" o.ä. Was die Methodiker bzw. Didaktiker publizierten, war Entwicklung von Material - seien es Lehrbücher für die Schulen, seien es Methodiken für die Hand des Lehrers. Neben den konkurrierenden Methodiken zum Mathematikunterricht gab es nur wenige Einzelarbeiten bzw. Untersuchungen zum Mathematikunterricht, vorwiegend unter psychologischer Orientierung. An den Universitäten gab es dagegen keinerlei fachdidaktische Ausbildung für die künftigen Lehrer an höheren Schulen. Neben dem fachwissenschaftlichen Studium gab es Lehraufträge für Schulpraktiker bzw. abgeordnete Studienräte, die in die Praxis des Unterrichts einführen sollten, eine gymnasiale Methodenlehre. Die abgeordneten Studienräte waren gleichfalls in der Entwicklung von Material tätig; sie bildeten die Basis der für diese Ausbildungsstufe typischen Stoffdidaktik. Eine erste Ausnahme bildete das „Seminar für Didaktik der Mathematik“, das Heinrich Behnke an der Universität Münster in den 1950ern gegründet hatte für die gymnasiale Mathematiklehrerausbildung. Die ersten umfangreichen empirischen Forschungsarbeiten realisierte das sog. Frankfurter Projekt von Heinrich Bauersfeld, mit dem er die Entwicklung von Alef, seinem Lehrwerk für Grundschulen, begleitete.

Die 1969 erfolgte Ausschreibung der VW-Stiftung für die Gründung eines Instituts für Didaktik der Mathematik war seit 1968 von einer Arbeitsgruppe vorbereitet worden. Ihr gehörten, neben Mitarbeitern der Stiftung, Mathematik-Didaktiker aus dem PH-Bereich an sowie Erziehungswissenschaftler, Mathematiker und ein Vertreter eines Studienseminars. Bauersfeld war der einzige Universitäts-Didaktiker – die hessische Regierung hatte das Pädagogische Institut in Jugenheim als Abteilung für Erziehungswissenschaften in die Universität Frankfurt integriert. Nach den Erfahrungen mit dem IPN als unabhängigem Institut „an“ einer Universität sollte das Institut ein integriertes Institut „in“ einer Universität werden, damit die Professoren von Anfang an mit vollen Rechten in einer Fakultät berufen werden konnten. Am IPN war nur der ernannte Direktor Mitglied einer Kieler Fakultät, die übrigen Direktoren der Fachabteilungen konnten lediglich nach BAT eingestellt werden, was zu Besetzungsproblemen führte. Die Ausschreibung vom 25. Juli 1969 sicherte eine Start-Finanzierung für fünf Jahre und forderte die Sicherung der Anschluss-Finanzierung. Der Charakter des Instituts war nur in Bezug auf die angezielte zentrale Funktion definiert, als „zentrales überregionales Institut“, also analog zum IPN. „Forschung“ hatte jedoch keinen hervorgehobenen Status; als Aufgaben wurden dem Institut fünf „Untersuchungen“ aufgetragen, weitgehend im Sinne von Stoffdidaktik und Materialentwicklung. Nur zusammenfassend wurden diese einmal als „Forschungen“ benannt. Steiner hat im Beitrag zum IDM im Band zu 25 Jahren Universität Bielefeld die Konzeption charakterisiert als: orientiert „an der nach einem scientifischen Modell zu vollziehenden didaktischen Materialentwicklung“, vorwiegend auf mathematischer Stoffdidaktik basiert (Steiner 1994, 309). Das Institut sollte eine unabhängige Position in einer Universität einnehmen, mit Anbindung an mehrere Fakultäten und mit Promotions- und Habilitations-Rechten. Das Institut sollte eine internationale Bibliothek und Dokumentation aufbauen.

Auf die Ausschreibung der VW-Stiftung für das Institut gingen insgesamt fünf Bewerbungen ein: Freiburg, Bielefeld, Karlsruhe, Mainz und Bochum. Von den Bewerbern wurden Mainz und Bochum sofort ausgeschieden. Der Antrag für Bielefeld ging auf eine Anregung von Bauersfeld zurück, als Rektor Karl Peter Grotemeyer ihn auf dem Weg zu einer gemeinsamen Sitzung im Herbst 1969 traf. Der Antrag wurde von Jürgen Heinrich erarbeitet, zusammen mit einer kleinen Planungsgruppe, der Grotemeyers ehemalige Berliner Studenten Lothar Sack, Peter Damerow und Christine Keitel (die beiden letzteren damals am Max-Planck-Institut (MPI) für Bildungsforschung in Berlin) angehörten. Der Antrags-Text betonte zwei einschlägige Forschungsschwerpunkte der Universität: Mathematisierung und Wissenschaftstheorie (einschließlich Wissenschaftsdidaktik) und skizzierte eine optimale Einpassung des IDM in die interdisziplinären Strukturen der neuen Universität. Der Antrag betonte die Integration in die Universität:

„Das IDM soll eine Einrichtung der Universität mit Promotions- und Habilitationsrecht werden“.

Entsprechend waren institutionelle Mitgliedschaften in verschiedenen Gremien der Universität vorgesehen. Anders als die Ausschreibung charakterisierte der Antrag ausdrücklich die Mathematikdidaktik als Wissenschaft und konzipierte daher das zu gründende Institut als Forschungsinstitut, mit „Konzentration auf Forschung und Beratung“. Der Abschnitt des Antrags zur Zielsetzung des IDM forderte daher zusammenfassend „eine breit angelegte kooperative und interdisziplinäre Forschungstätigkeit“.

In der internen Bewertung der Stiftung überwogen bei Bielefeld aber zunächst die negativen Aspekte: Das Spektrum der mathematischen Fachrichtungen sei relativ schmal, eine „allgemeine Anerkennung durch die deutsche Hochschulmathematik“ - ein Hauptkriterium der Stiftung - sei nicht gesichert. Priorität für die Stiftung hatten die Verhandlungen mit Freiburg, aber mit Bielefeld als zweiter Option. Wegen der Nähe von Freiburg zum Mathematischen Forschungsinstitut in Oberwolfach und dessen Personalunion mit Prof. Martin Barner (Universität Freiburg) erhoffte sich die Stiftung eine positive Hinwendung der Mathematiker zur Mathematik-Didaktik. Bigalke, mit Barner aus seinen Studienzeiten in Freiburg bekannt, stützte entschieden die Freiburger Bewerbung. Schon bald zeigten sich jedoch in Freiburg Probleme, die Bedingungen der VW-Stiftung zu erfüllen. Die geforderte Promotions-Möglichkeit in der Universität und die Aufnahme der H4-Professoren mit vollen Rechten in die Fakultät waren nicht realisierbar. Das Ministerium konnte nur die Übernahme der Hälfte der Folgefinanzierung zusagen. Die Verhandlungen scheiterten daher im Juni 1971. Die Stiftung nahm daher Verhandlungen mit der Universität Bielefeld auf.

Wegen der langen Verzögerung und der Priorität für Freiburg war dort inzwischen ein alternatives Konzept zur Realisierung eines solchen Forschungsinstituts entwickelt worden, in einer Planungstagung Ende Januar 1971. Teilnehmer waren, neben dem Rektor, der Berliner Dreier-Gruppe und Bauersfeld, mehrere Mitglieder der Mathematik-Fakultät – und erstmals auftretend: Michael Otte (Universität Münster). Das Ergebnis-Papier sah eine enge Verbindung mit der Mathematik-Fakultät vor und eine nunmehr starke Betonung von „experimenteller Grundlagenforschung“.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Freiburg, erfolgten ab Anfang Juli 1971 intensive Verhandlungen der VW-Stiftung mit Bielefeld. Die Mathematik-Fakultät fasste mehrere präzisierende Beschlüsse: Promotionen und Habilitationen in Mathematik-Didaktik; sie wünschte keine Verpflichtung von IDM-Mitgliedern zur Lehre in der Fakultät, räumte aber das Recht zur Durchführung von Lehrveranstaltungen ein. Gegenüber dem Antrag von 1970 wurde die Repräsentanz der Mathematik-Fakultät im Gründungsbeirat vermehrt, zu Lasten der internationalen Repräsentanz. Nach Bedenken dazu der Stiftung stimmte sie schließlich dieser Zusammensetzung im März 1972 zu.

Bereits am 7. Januar 1972 hatte die VW-Stiftung die Bewilligung an die Universität Bielefeld gesandt. Mit einem Förderbetrag von (bis zu) 9 Mio. DM sollte die Gründung und Startfinanzierung eines „zentralen überregionalen Instituts für Didaktik der Mathematik als Einrichtung der Universität Bielefeld“ erfolgen. Sie betonte als Voraussetzungen der Bewilligung, dass das IDM Promotions- und Habilitationsrecht sowie Stimmrecht in der Fakultätskonferenz Mathematik erhalte und ferner, dass die Nominierung der Mitglieder des Gründungsbeirats und die Erarbeitung der Satzung im Einvernehmen mit der Stiftung erfolge. Sie betonte ferner, sie gehe davon aus, dass die Zusagen des Landes zur Weiterfinanzierung nach Auslaufen der Starthilfe eingehalten werden.

Gründungsbeirat und erste Berufungen

Als Gründungsbeirat wurden demnach berufen:

sowie als Mitglieder ohne Stimmrecht: je ein Vertreter der Stiftung, des NRW-Wissenschafts-Ministeriums, der DMV, sowie je ein Vertreter der vier Statusgruppen der Mathematik-Fakultät. Die im Antrag 1970 vorgesehene Interdisziplinarität und Überregionalität war damit auf das Minimum von je einem Vertreter („überregional“ als Vertretung des Auslands verstanden) reduziert.

Die erste Sitzung des Gründungsbeirats erfolgte am 6. Mai 1972. Dort wurden die ersten Ausschreibungen beschlossen. Offenbar ohne die Folgen für die Verkürzung der Finanzierung der eigentlichen Arbeiten des IDM zu bedenken, hat dagegen die Start-Finanzierung bereits mit der Überweisung der „I. Rate“ von 31.300 DM am 7. April 1972 durch die Stiftung begonnen. Die erste Ausgabe, vom 17. April, war für Stellenausschreibungen in Zeitungen (499,50 DM), - ein sicherlich auch aus Rektoratsmitteln finanzierbarer Posten. Die zweite Ausgabe waren Fotokopien - in Höhe von lediglich 14,50! Danach wechselten sich Reisekosten, weitere Stellenausschreibungen und sogar Umbuchungen von Telefon und Kopieren ab. Die Ausgaben im Jahre 1972 betrugen lediglich etwa 9.000 DM. Der Finanzplan sah zwar die Finanzierung eines Aufbaubeauftragten vor, ab 1. April 72 – eine solche Einstellung ist aber nicht erfolgt. Trotz der Ausschreibung einer solchen Stelle im März 1972 und relevanten Bewerbungen hat der Gründungsbeirat diese wesentliche Funktion vernachlässigt. Bis zur Arbeitsaufnahme des IDM mehr als ein Jahr später sind keine Personalausgaben erfolgt.

In der vierten Sitzung, am 27. und 28. Oktober, wurde, nach den erfolgten Bewerbungen, den Hearings und der Auswertung der erstellten Gutachten, beschlossen, drei der fünf vorgesehenen H4-Stellen, als Direktoren des Instituts, zu besetzen und Bauersfeld, Otte und Steiner zu berufen, mit Erich Wittmann als Nachrücker. Bauersfeld war vor Frankfurt an der PH Hannover tätig gewesen; Steiner war in der Gymnasialdidaktik „groß“ geworden, hatte dann an großen Curriculumprojekten in den USA mitgearbeitet und war zuletzt an der PH Bayreuth tätig gewesen. Otte dagegen war, als jüngster der drei, ein völliger Newcomer – noch im Abschluss seiner Habilitation in Mathematik an der Universität Münster, interessiert in Soziologie und Wissenschaftstheorie, hatte er gerade eine Publikation in Mathematik-Didaktik aufzuweisen. Im Protokoll der Beirats-Sitzung heißt es, er wurde wegen „seiner engen Bindung an die Mathematik als auch aufgrund seiner wissenschaftstheoretischen Kompetenz“ als die bessere Ergänzung zu den bereits Nominierten bewertet. Die Berufungsliste wurde von der Mathematik-Fakultät gebilligt – die andere Bezugs-Fakultät (PPP) ist dagegen nicht beteiligt worden. Am 22. Dezember 1972 sandte der Rektor die Berufungsliste an das Ministerium. Die Rufe ergingen dagegen ganz ungleichzeitig.

Steiner und Bauersfeld erhielten die Rufe vom Wissenschaftsministerium erst im Juli und August 1973, offenbar wegen Verzögerungen des Finanzministeriums, das Probleme hatte, Rufe auf Professorenstellen an eine hochschulrechtlich noch nicht definierte Struktur ‚zentrale wissenschaftliche Einrichtung‘ zu akzeptieren (s. unten). Otte hatte dagegen einen Ruf an die Universität Bremen erhalten; dieser Druck führte zu seiner raschen Berufung und Ernennung, wie der Rektor in der Einladung zur 6. Beirats-Sitzung vom 7. Mai 1973 mitgeteilt hat.

Die Arbeitsaufnahme des IDM

In der fünften Sitzung des Beirats, am 12. und 13. Januar agierten die drei Berufenen bereits als diejenigen, die die weiteren Personalentscheidungen dominierten; an ihren Vorschlägen orientierten sich die Beschlüsse des Beirats. Von den Bewerbungen für H3-Stellen wurden nur zwei akzeptiert: Roland Stowasser sollte als Studiendirektor i.H. eingestellt werden – später wurde er H3-Professor; die Einstellung von Elmar Hengartner realisierte sich nicht. Der Beirat beschloss den Finanzplan für 1973 und die vorläufigen Organisationsgrundsätze des IDM: Als Gremien zur Strukturierung der Arbeit des IDM waren dort vorgesehen: der Wissenschaftliche Beirat, die Institutskonferenz zur Verbindung des IDM mit der Universität, und als Leitungsgremium das Direktorium, mit einem Geschäftsführenden Direktor. Da das Direktorium und der Geschäftsführende Direktor von der Institutskonferenz zu wählen war, konnte die Binnenstruktur erst nach Bildung der Institutskonferenz etabliert werden. Der Beirat ließ den Punkt „Aufgaben des IDM“ offen, er wurde in einem gemeinsamen Treffen der drei Berufenen Anfang März in Frankfurt erarbeitet:

Die VW-Stiftung hatte das Institut mit fünf H4-Stellen geplant, aber keine Vorgaben zur Binnenstruktur und zu den Kooperations-Modi zwischen diesen Direktoren, die gemäß der deutschen Hochschul-Tradition als Ordinarien unabhängig waren. Die am Anfang des 20. Jahrhunderts gegründeten Kaiser-Wilhelm-Institute wurden für eine hervorragende Wissenschaftler-Persönlichkeit gegründet, und in der Regel nach deren Tod aufgelöst. Auch die nach dem zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik gegründeten Max-Planck-Institute folgten dieser Konzeption von „Ein-Mann-Instituten“. Neuere Gründungen wie das MPI für Wissenschaftsgeschichte in Berlin mit drei Direktoren sind in drei Abteilungen gegliedert. Kooperation und competition bilden ein charakteristisches Spannungsfeld im Wissenschaftsbereich (s. Schubring 2018, 9 ff.).

Otte nahm seine Arbeit am 1. Mai auf. Steiner und Bauersfeld waren auch nach ihrer Rufannahme im Herbst noch mit Lehraufgaben in Bayreuth bzw. Frankfurt gebunden und nahmen ihre Arbeit effektiv erst zu Anfang 1974 auf. Otte wurde vom Beirat in der 6. Sitzung am 17. Mai als kommissarischer Leiter eingesetzt. Er hat die Aufbauarbeit energisch aufgenommen. Das IDM war zunächst, wie auch die Universität vor Fertigstellung des Neubaus im Jahre 1976, im AVZ, dem Allgemeinen Verfügungs-Zentrum untergebracht. Im Oktober erfolgte ein Umzug in ein angemietetes Gebäude in Bielefeld-Jöllenbeck. Otte hatte als erstes Personal eine Verwaltungsangestellte, eine Sekretärin und eine Bibliothekarin eingestellt. Sekretärinnen für die zwei weiteren Professoren stellte er zum 1. Oktober ein. Von den in der ersten Jahreshälfte vom Beirat beschlossenen Einstellungen von wissenschaftlichen Mitarbeitern trat als erster Gert Schubring zum 1. Juli ein; Thomas Mies folgte zum 1. August und bis Oktober Hans-Niels Jahnke und Hans Bussmann (auf eine H2-Stelle). Dankwart Vogel, Bernard Winkelman, Rainer Jansen und Hendrik Radatz traten erst zu Anfang 1974 ein.

Eine erste gemeinsame Arbeitsbesprechung fand am 10. August 1973. An dieser intensiven Sitzung nahmen teil: Bauersfeld, Bussmann, Mies, Otte und Schubring. Gegenstand dieser Besprechung war die Entwicklung eines gemeinsamen Arbeitsverfahrens. Dazu sollten „einige wenige aktuelle Themen auf Grund der vorliegenden Literatur und des Kenntnisstandes der Mitarbeiter diskutiert“ werden. Im Wechsel von individuellem Studium und protokollierten Gruppendiskussionen sollten die sachlichen Grundlagen erarbeitet werden, die zu einer ersten gemeinsamen Publikation bis Januar 1974 führen sollten. Sie sollte einen Grundlagenteil enthalten und Rezensionen wichtiger Publikationen. Dies wurde in der Tat die erste Publikation des IDM, als Heft 1 der sog. grünen Reihe, das in zahlreichen Gesamtbesprechungen von September 1973 bis Januar 1974, an denen alle bis dahin eingetroffenen Mitarbeiter teilnahmen, erarbeitet wurde. Den Grundlagenteil bildete der Artikel „Zu einigen Hauptaspekten der Mathematikdidaktik“, der in kritischer Sichtung bestehender Ansätze einen theoretischen Rahmen für Forschungen zur Mathematik-Didaktik entwickelte. Dieser Artikel stieß in der folgenden Beiratssitzung auf scharfe Kritik von Pickert, einem traditionell gymnasialdidaktisch orientierten Mitglied.

Bereits in dieser ersten Phase des Aufbaus wurden internationale Kontakte aufgenommen. Mitte November reiste Otte mit mehreren Mitarbeitern nach Paris, auf Einladung von Revuz, dem Direktor des IREM Paris. Der Besuch erwies sich als der Beginn einer engen Kooperation mit der französischen Mathematik-Didaktik. Der Aufenthalt in Paris wurde aber noch zusätzlich bestimmend für die weitere Konkretisierung der didaktischen Entwicklungsarbeit aufgrund des Kennenlernens der Schulpraxiskontakte und –verankerung der IREMs; vor allem aber durch die Teilnahme an einer Unterrichtsbeobachtung an einer der Experimentalschulen des IREM Paris, einer Schule in Melun, einem Vorort von Paris.

Für die internationalen Kontakte und die Publikationen wurde ein Übersetzer für Englisch und Französisch eingestellt.

Mit dem offiziellen Eintreffen von Steiner am IDM zu Anfang März 1974 wurde in intensiver Weise die nunmehr gemeinsame Arbeit, mit allen drei H4-Professoren und mit Stowasser, aufgenommen. Alle Mitglieder wurden zu einer einwöchigen Planungstagung Anfang. März eingeladen. Die Arbeit des IDM ist hier noch als gemeinsame geplant worden, ohne eine Einteilung in Arbeitsgruppen. Als ein wesentliches Element der beabsichtigten gemeinsamen Theoriediskussion wurden Doktorandenkolloquien geplant; sie sollten jeweils Mittwoch nachmittags stattfinden. Für Mittwoch vormittags waren gemeinsame Besprechungen zu aktuellen Fragen sowie zu Projekt-Diskussionen vorgesehen. Vierzehntäglich sollten gemeinsame Besprechungen und Diskussionen von aktueller Literatur stattfinden. Ferner wurde festgelegt, welche Mitglieder in welchen Universitäts-Gremien bzw. –Kommissionen das IDM vertreten sollten.

Einen Schwerpunkt der Tagungswoche bildete die Diskussion von Projekten. Sie wurden mit den Namen von Projektleitern verbunden, nicht von Arbeitsgruppen. Festgehalten wurden:

Als vorrangiges Projekt der Arbeitsplanung wurde intensiv das Mengenlehre-Projekt diskutiert. Die Diskussion stand deutlich unter politischem Erwartungsdruck dieses damals brennenden Problems in der bildungspolitischen Situation in der Bundesrepublik. Es war daher geplant, ein Memorandum zu erarbeiten, das Ende Juni/Anfang Juli der Öffentlichkeit übergeben werden sollte und auch eine Presseerklärung, etwa für April. Nicht nur ebbte der politische Druck rasch ab, es erwies sich zudem, dass eine fundierte Bearbeitung der implizierten Probleme tiefere und gründlichere Analysen erforderte. Dazu waren aber noch keine Grundlagen erarbeitet. Es sind daher nur Teil-Ergebnisse, zur Lehrbuchanalyse und zur Zahlbegriffsentwicklung, publiziert worden. Das Scheitern des Mengenlehre-Projekts als eines gemeinsamen Projekts des gesamten Instituts und mit öffentlichkeitswirksamen Publikationen wurde im Bericht an die VW-Stiftung so gefasst: „Die Erfahrungen in der Arbeit an einem einzigen gemeinsam bearbeiteten Projekt führten dazu, dass sich im Herbst 1974 drei Projekte herauskristallisierten“. Es waren dies die drei Arbeitsgruppen – oder Fi:

Konsolidierung und Entfaltung des IDM

Im Herbst 1974 ist in der Tat die definitive Konsolidierung im IDM-Aufbau erfolgt. Es wurde zunächst die Institutskonferenz gebildet; und mit ihr konnte die vorgesehene Strukturierung des IDM erfolgen, durch die Wahl des Direktoriums. Zeitgleich mit der Bildung des Direktoriums etablierten sich die drei Arbeitsgruppen. Und der Gründungsbeirat bildete sich um in den Wissenschaftlichen Beirat. Eine überarbeitete Fassung der vorläufigen Organisations-Gundsätze wurde als „Satzung“ des IDM im Februar 1975 von der Institutskonferenz und im Juni 1975 vom Wissenschaftlichen Beirat gebilligt.

Zugleich wurde die institutionelle Konsolidierung vorangetrieben. Die weitere Personalentwicklung erfolgte dynamisch. Zu Anfang des Jahres 1974 waren neben den drei Professoren 5 Mitarbeiter tätig; Ende 1974 waren es elf. Roland Stowasser, nunmehr auf einer H3-Stelle, hatte Anfang 1974 seine Tätigkeit aufgenommen. Vor allem aber wurde versucht, rasch die weiteren H4-Stellen zu besetzen. Bereits in der 8. Sitzung des Gründungsbeirats am 15. Oktober 1973 wurde die Ausschreibung der vierten Stelle, zum 10. Dezember, beschlossen, obwohl eine Voraussetzung dafür – die Rufannahme durch Steiner – noch nicht definitiv entschieden war. Die Vorstellungsgespräche sollten bereits am 14. und 15. Januar 1974 in der neunten Sitzung erfolgen. Tatsächlich erfolgte dort aber erst die Auswahl unter den Bewerbern. Es waren zehn Bewerbungen eingegangen; davon wurden eingeladen: Wittmann, Arthur Engel, Gerhard Holland, der Naturwissenschafts-Didaktiker Walter Jung und Andreas Dress. Die Auswahl von Dress war kontrovers und erfolgte mit 4:3:1 Stimmen.

Es war zunächst nicht ausgeschlossen, zwei H4-Stellen zu besetzen – also alle fünf vorgesehenen Professoren-Stellen. In der 10. Sitzung, die vom 2. bis 4. Mai stattfand, wurde aber beschlossen, nach der Anhörung der fünf Bewerber, zunächst nur eine Stelle zu besetzen. Schließlich wurde als Liste beschlossen: Engel, mit Jung als Nachrücker. Dress sollte eine Gastprofessur angeboten werden. In der Tat hat Dress ein Jahr als Gastprofessor am IDM gewirkt.

Schon vor der Konstituierung der drei Gruppen erfolgte eine rasche Entwicklung der Arbeiten am IDM. Insbesondere wurden Kontakte und Kooperationen mit Forschern und Institutionen im Ausland hergestellt. Vom 16. bis 20. September 1974 fand die internationale Geometrietagung mit über 100 Teilnehmern statt. Vom 1. bis 5. Oktober 1974 folgte die Tagung mit drei IREMs: Paris, Lyon und Bordeuax. Die Tagung zu den Schlüsselvariabeln wurde am 1. bis 5. September 1975 realisiert; sie fand in Wasserlos (Unterfranken) statt. Nach den Kontaktbesuchen von Bauersfeld und Otte 1974 beim IPN und beim MPI für Bildungsforschung folgten Kontaktreisen Anfang Juni 1974 zu englischen Zentren – Shell Centre for Mathematics Education in Nottingham, Centre for Science Education Chelsea und mehrere Einrichtungen in Cambridge (Bauersfeld, Otte, Steiner) -, zum IOWO in Utrecht Ende Juni 1974 (die drei Direktoren und Mitarbeiter der drei Gruppen sowie Stowasser), und Akademie der pädagogischen Wissenschaften in Moskau, verbunden mit Schulbesuchen (Otte, Vogel, Engel).

Der Kongreß ICME 3 in Karlsruhe 1976 wurde in vielfachen Aktivitäten zentral vom IDM aus vorbereitet. Der Kongreß wurde zu einem ersten Höhepunkt der internationalen Wirksamkeit des IDM.

Mehrmonatige Gastaufenthalte ausländischer Wissenschaftler leiteten intensive internationale Kooperationen ein; der erste solche Gast war Jeremy Kilpatrick (damals New York). Es folgte Ichei Hirabayashi (Japan).

Existenzkrise und Übernahme in die Landesfinanzierung

Die intensive Entfaltung der mathematikdidaktischen Forschung in den Arbeitsgruppen des IDM wurde aber schon rasch durch äußere Faktoren in Frage gestellt. Bei der Arbeitsaufnahme des IDM 1973 war den Mitarbeitern nicht bekannt, dass mit den ersten Stellenausschreibungen 1972 die Förderfrist von 5 Jahren bereits ihren Anfang genommen hatte. Das brachte das junge Institut schon 1975 in ernste Schwierigkeiten, weil das Land NRW unter dem Eindruck der ersten wirtschaftlichen Rezession die Übernahme der Folgefinanzierung in Frage stellte. Leider überschattete die allgemeine wirtschaftliche Lage – die Zeit der ersten Ölkrise und Sonntagsfahrverbote – den weiteren Aufbau.

Zur Krise veränderte sich diese Situation Anfang Februar 1975, aufgrund der plötzlichen schlechten Haushaltslage des Landes NRW. Aufgrund der Haushaltskrise in NRW war die Übernahme in die Landesfinanzierung unsicher geworden. Eine außerordentliche Direktoriums-Sitzung am 3. Februar 1975 erörterte die Lage. Das IDM war eingeladen zu einer Besprechung der Situation im Rektorat am 14. Februar. Es wurden drei Auswege skizziert: eine Streckung der VW-Mittel, um die Gesamtsumme auszuschöpfen – zur Klärung sollte ein Gespräch mit der VW-Stiftung stattfinden; wegen der überregionalen Aufgaben des IDM sollte eine Teilfinanzierung durch den Bund geprüft werden – da das IPN dazu Erfahrungen habe, sollte ebenfalls noch vor dem 14. Februar ein Gespräch mit dem IPN stattfinden; schließlich sollten Bewerbungen um Projektausschreibungen geprüft werden.

Es gelang, Gesprächstermine vor dem 14. Februar zu vereinbaren: Die drei Direktoren sprachen in Hannover mit der VW-Stiftung, sowie in Kiel mit den Leitern des IPN. Das Gespräch in Hannover ergab, "bis Ende 1976 nicht verwendete Mittel der Startfinanzierung für das IDM nach 1976 zur Verfügung zu stellen" - möglichst für begrenzte Vorhaben, die keine Folgekosten aufweisen. Die Leitung des IPN machte dagegen nicht viel Hoffnung auf Bundesmittel; das Antragsverfahren sei hoch kompliziert; und bewilligte Drittmittel reduzieren automatisch die Bundesmittel.

In dieser prekären Situation entschloss sich das IDM, einen „Strukturplan ’75“ zu erstellen, um für die kommenden Verhandlungen eine kohärente Selbstdarstellung zu geben. Ein solcher Strukturplan war auch vom Ministerium am 13. Januar 1975 angefordert worden, als Entscheidungs-Grundlage für die Berufung von Engel. In der Tat gelang es, in kurzer Frist, bis Ende März, den 28-seitigen Strukturplan zu erarbeiten, der eine gemeinsame Basis für die Arbeiten des IDM als überregionalem Forschungsinstitut entwickelte. Ein erster Teil erklärte die Notwendigkeit eines solchen Forschungsinstituts, auf dem Weg zu Mathematik-Didaktik als wissenschaftlicher Disziplin; es folgte ein Teil über Forschungs- und Arbeitsstrategien und ein dritter Teil über die Aufgaben des Instituts. Es folgte die Darstellung der aktuellen Organisationsstruktur, bestehend aus Einheiten D (Einheiten mit Daueraufgaben) – Verwaltung, Bibliothek, Dokumentation, technische Funktionen - und aus Einheiten F (flexible Arbeitseinheiten) – also die drei Arbeitsgruppen, mit detaillierter Beschreibung der jeweiligen Aufgaben und Tätigkeiten. Der letzte Teil umfasste die Personalstruktur, mit Benennung der einzelnen besetzten Stellen wie auch der offenen und noch geplanten, inklusive also insbesondere der vierten und fünften H4-Stelle – insgesamt also mit ca. 60 Stellen.

Es folgten langwierige Verhandlungen mit dem Rektorat und des Rektorats mit dem Ministerium. Angesichts der erkennbaren Bereitschaft des Ministeriums, die besetzten Stellen zu übernehmen, wurde zäh über deren Anzahl verhandelt. Anstatt der anfänglich zugestandenen 33 Stellen waren es schließlich 29 Stellen. Die endgültige Entscheidung fiel in einer Besprechung des Rektorats am 8. Januar 1976 mit dem Ministerium: das IDM sollte auf der Basis der vorhandenen Stellen weitergeführt werden: das Ministerium sei „angesichts der angespannten Haushaltslage lediglich bereit, die soziale Sicherung für die gegenwärtig am Institut beschäftigten Mitarbeiter einzulösen“. Damit wurde der weitere Aufbau praktisch abgebrochen. Insbesondere waren damit die Rufverhandlungen mit Engel storniert und die Besetzung der fünften Stelle unmöglich geworden.

Nachdem in dieser Weise eine reduzierte Übernahme in die Landesfinanzierung erfolgt war, konzentrierte das IDM sich darauf, die unverbraucht bleibenden Mittel von der VW-Stiftung für die Finanzierung weiterer Aktivitäten weiter bewirtschaften zu können. Es handelte sich um Mittel in beträchtlicher Höhe, ca. 4 Mio DM (von ursprünglich 9 Mio DM). Im September 1976 erfolgte der erste Antrag auf Restmittel an die VW-Stiftung: für sechs Promotionsstipendien, mit einer Laufzeit von drei Jahren. Die VW-Stiftung genehmigte den Antrag am 21. September: bis zu 450.000 DM für "Stipendien für Ergänzungsstudien", ab 1. Januar 1977 "aus Restmitteln der Bewilligung vom 7.1. 1972".

Die nächsten Anträge waren: für die Pilotstudie zur Dokumentation (siehe unten), Januar bis September 1977, auch aus Restmitteln. Am 15. März 1977 bewilligte die VW-Stiftung 400.000 DM für Veranstaltungen, Ausbau der Bibliothek, Reisen und begrenzt für Publikationen - für die nächsten 3 Jahre. Es folgte der Antrag für die Hauptphase der Dokumentation und für das DIMO-Projekt „Differenzierung im Mathematikunterricht der Orientierungsstufe“- alles aus Restmitteln.

Mit diesen zusätzlichen Mitteln der VW-Stiftung und mit den alsbald erfolgreich eingeworbenen Drittmitteln für Forschungsprojekte konnte das IDM insgesamt eine national und international hoch anerkannte Arbeit für die Entwicklung der Mathematik-Didaktik als wissenschaftlicher Disziplin entfalten.

Eine weitere Krise 1979/80 konnte schließlich konstruktiv gewendet werden, eine Krise im Beirat. Die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats waren zu einem großen Teil aus dem Gründungsbeirat übernommen worden. Mehrere der Fachmathematiker mit den traditionellen Vorstellungen von Stoffdidaktik fühlten sich zunehmend unbehaglich im Beirat aufgrund der ganz entgegen ihren Erwartungen verlaufenden Entwicklung des IDM. Das Unbehagen kumulierte 1979 zu einer Krise des Beirats. Das erste Anzeichen war der Austritt von Pickert 1979 – die Auffassungen der Arbeitsgruppe F2 über Mathematik, Mathematikunterricht und Mathematikdidaktik seien mit den seinen unverträglich, wie er aus Anlass der Versendung der von Otte betreuten Dissertation von Jahnke an Grotemeyer schrieb. Er betonte, dass er mit diesem Schritt „kein Aufsehen erregen“ wolle, damit dem „IDM kein Schaden entsteht“. Ganz anders wenig später Barner, der seinen Austrittsbrief an Grotemeyer der DMV zur Publikation in den Mitteilungen zugesandt hatte. Dort wurde sein Brief im März-Heft 1980 publiziert, zugleich mit der Antwort des Direktoriums. Ihm zufolge habe „die Arbeit des IDM zu wenig Bezug zur Mathematik und zu wenig Bezug zur Schulwirklichkeit des Mathematikunterrichts und zur Aus- und Fortbildung von Lehrern im Fach Mathematik“. Es war dem Direktorium nicht schwer, diese Kritik zu widerlegen. Insbesondere war der Bezug zur Mathematik für das IDM natürlich zentral – aber, wie es in der Antwort hieß, die Mathematik-Didaktik sei „nicht das ausführende Organ der Mathematik“, sondern in vielfältige weitere Beziehungen eingebunden. Die Diskussion der Austritte im Beirat bewirkte, dass einerseits die Betreuung des Beirats vom IDM professioneller geleitet wurde und dass andererseits explizit Kriterien für die Mitgliedschaft beschlossen wurden:

Bereits dieser Kriterienkatalog führte zum Austritt eines weiteren Fachmathematikers, von Radbruch. Die vom Beirat 1980 neu Nominierten realisierten nun den im Antrag 1970 intendierte Überregionalität und Interdisiplinarität. Mitglieder wurden 1980:

Fred van der Blij (Niederlande), Roland Fischer (Klagenfurt), Herwig Blankertz, Jürgen Raschert, Jürgen Kühl (Direktor Theodor-Mommsen Schule in Bad Oldesloe).

Nach dem Unfalltod von Blankertz 1983 erfolgte ein weiteres Revirement:

Brian Griffiths (Southampton), Walter Oberschelp, Bent Christiansen (Dänemark), Hilbert Meyer, Walter Deuber, Bernd Andelfinger, Klaus Hurrelmann2, Peter Martin Roeder und Heinrich Winter.

Bemühen um die „Blaue Liste“

In der Krisensituation Anfang 1975 war als eine der alternativen Strategien zur Sicherung des IDM das Konzept angenommen worden, sich um eine Finanzierung durch den Bund zu bemühen. In der außerordentlichen Direktoriumssitzung am 3. Februar 1975 war nicht nur darüber ein Gespräch mit dem IPN vereinbart worden; es ging dabei um die Aufnahme in die sog. Blaue Liste, oder die Einrichtungen nach dem Petersberger Abkommen. Dieses Abkommen ermöglicht eine gemeinsame Finanzierung durch Bund und Länder für Einrichtungen mit spezifisch definierten Aufgaben. Zu den Aufgaben müssen auch Service-Aufgaben für eine größere community gehören.

Ein Dokumentationsausschuss im IDM bereitete ein Konzept für den Aufbau einer I&D-Abteilung – Information und Dokumentation – vor, das die Aufnahme des IDM in die Blaue Liste, und damit eine Finanzierung unabhängig vom Land und der Universität, ermöglichen sollte. Auf eine Empfehlung hin nahm das IDM Kontakt mit Rudolph A.M. Mayer, am Deutschen Jugend-Institut in München tätig, auf, um mit ihm dieses Konzept zu realisieren. Er sollte diese Aufgabe von einer H3-Stelle aus realisieren. Seine Bewerbung wurde vom IDM und der Institutskonferenz akzeptiert; das Rektorat sandte diesen Berufungsvorschlag an das Ministerium. Diese Berufung scheiterte aber wie die von Engel, wegen des Einfrierens der IDM-Stellen. Mayer fungierte aber noch mindestens bis 1977 als Hauptberater des IDM für den Aufbau der I&D-Abteilung. Bereits im April 1975 begannen im IDM intensive Arbeiten, zusammen mit Mayer, um das I&D-Konzept zu erarbeiten.

Dafür wurde zunächst eine Pilotphase vorbereitet, zur Verifizierung der in einer Planungsstudie von Mayer entwickelten Konzepte und Annahmen. Der Antrag für eine solche Pilotphase, für die Monate Januar bis September 1977, wurde Anfang Oktober 1976 an die VW-Stiftung gesandt und Anfang Januar 1977 bewilligt. Die VW-Stiftung hat jedoch nicht, wie geplant, die Hauptphase als direkte Fortführung der Pilotphase bewilligt. Sie forderte vielmehr eine Konzeption, die mit den weiteren Einrichtungen für Bildungsdokumentation abgestimmt und koordiniert sei. sie sei grundsätzlich bereit, aus Restmitteln „den Aufbau einer Informations- und Dokumentationsabteilung“ zu finanzieren. Die Entscheidung darüber könne sie aber erst nach Vorlage und Prüfung der Ergebnisse der Pilotphase treffen – Voraussetzung dafür sei die Sicherung der Anschlussfinanzierung und eine befriedigende Abstimmung „mit bestehenden oder geplanten anderen Dokumentationssystemen und –vorhaben“. Vorrangig war damit das Dokumentations-System des ZDM (Zentralblatt für Didaktik der Mathematik) gemeint.

Die Besprechungen mit dem ZDM und dem IPN führten zur Bestätigung der bislang konsentierten Konzeption, keine basis-dokumentarische Erschließung durchzuführen, sondern eine inhaltliche Erschließung von Themen- und Materialbereichen. Die Verhandlungen, in den revidierten Hauptantrag eine Zusage über die Anschlussfinanzierung aufzunehmen, scheiterten; zwar hatten Bund (BMBW) und Land NRW ihre prinzipielle Bereitschaft erklärt, das IDM in übergreifende Dokumentationsvorhaben aufzunehmen, aber die Gründung des dafür geeigneten Fachinformationssystems 12 (Bildung) war weit entfernt von einer Realisierung. Der revidierte Hauptantrag wurde daher konzipiert für ein zeitlich befristetes Dokumentationsprojekt ohne dauernde oder jedenfalls abgesicherte Institutionalisierung und – sofern keine andere Institutionalisierung erreichbar war – als weitere Perspektive am IDM eine Fortführung über die Gewinnung eines personellen „Kerns“ im Universitätshaushalt, durch Bewilligung einer zusätzlichen Wissenschaftler- und einer Dokumentar-Stelle sowie die Einwerbung von Drittmitteln, nach Auslaufen der VW-Finanzierung voranzutreiben. Zudem hatte der Wissenschaftliche Beirat in seiner Sitzung vom Juni 1977 nachdrücklich für eine „kleine Lösung“, eine in die bestehende Arbeit des IDM integrierte Konzeption, votiert.

Schließlich wurde ein solcher Antrag für eine dreijährige Aufbauphase erarbeitet und der Stiftung Ende September 1977 zugesandt. Die VW-Stiftung genehmigte den Antrag Ende Dezember 1977, nun aber nicht für den Aufbau einer Abteilung, sondern für „Arbeiten im Bereich Information und Dokumentation am IDM“. Anstatt der beantragten 976.000 DM wurden 765.000 DM bewilligt; die Personalplanung musste daher reduziert werden. In der Hauptphase sollten „IDM-spezifische Dokumentationsaufgaben wahrgenommen werden, die der Unterstützung und Verbesserung der Forschungs- und Entwicklungsarbeit der Projektgruppen des IDM dienen“ – die Außenwirkung sollte vorrangig über diese Arbeiten der Projektgruppen und deren Dissemination erfolgen. Das eigenständige Tätigkeitsprofil sollte dokumentations-fachliche und, hauptsächlich, inhaltliche Dokumentations-Tätigkeiten zu Themen der Mathematikdidaktik umfassen. Diese zweite Phase wurde von 1978 bis 1981 realisiert, mit zwei Stellen für Wissenschaftler, drei für wissenschaftliche Hilfskräfte, einer Sekretärin und einer Dokumentarin.

Das I&D-Projekt hat in der Pilot- und der Aufbauphase eine große Anzahl bemerkenswerter Dokumentationen zu wichtigen Themen der Mathematik-Didaktik erarbeitet und publiziert. Bereits in der Pilotphase wurden, neben der Pilotstudie von Mayer, fünf thematische Dokumentationen erarbeitet und publiziert. Die dokumentations-fachliche Dimension konzentrierte sich auf die Entwicklung von mathematik-didaktisch adäquaten Verfahren: Erarbeitung von bereichs-spezifischen Teil-Thesauri, Erschließung, Verschlagwortung, Registerentwicklung und Format-entwicklung; die thematischen Dokumentationen wurden verstärkt mit inhaltlichen Erschließungen – über abstracts hinaus – verbunden. Inhaltliche Dokumentation erfolgte in den Bereichen: Literaturdokumentation, Forschungs-Dokumentation mit Trendberichten und Lehrplandokumentation. In der Hauptphase sind elf solche Dokumentationen erarbeitet und publiziert worden; neben basis-dokumentarischen Vorhaben – zu Lehrplänen, Dissertationen, Habilitationen, Zeitschriften und Curriculum-Projekten -, waren es problem-bezogene Dokumentationen – zu Lehr/Lernforschung, Lehrerbildung, Teacher Centres, Medien-Didaktik, Geschichte der Mathematik-Didaktik und Mathematik in der beruflichen Bildung.

Es war dem IDM schließlich Anfang 1980 gelungen, eine BAT IIa/Ib-Stelle für Dokumentation in die Haushaltsanmeldung der Universität für 1981 einzubringen. Da für 1981 aber dann den Universitäten in NRW faktisch keine neuen Stellen bewilligt wurden, und die Chancen für die Einwerbung von Drittmitteln sich als minimal erwiesen, hat sich ein personeller Kern im Universitätshaushalt für die Fortführung der Dokumentation ab 1981 nicht realisieren lassen. Da eine weiterführende Finanzierung nicht erreicht wurde, wurde Dokumentations-Tätigkeit nach dem Auslaufen der VW-Projekte nur noch in reduzierter Form fortgeführt.

Zugleich hatten sich damit keine strukturellen Voraussetzungen realisieren lassen, um erfolgreich einen Antrag auf Aufnahme des IDM in die „Blaue Liste“ zu stellen.

Die weitere Entwicklung des IDM in der Landesfinanzierung

Seit dem Kongress ICME 3 in Karlsruhe 1976 hat das IDM eine international anerkannte und wirksame Funktion in der Entwicklung der Mathematik-Didaktik als wissenschaftlicher Disziplin wahrgenommen. Für diese Entwicklung besonders wichtig wurde das für ICME 3 neugeschaffene Format der internationalen Trendberichte. Von den dreizehn für Karlsruhe erarbeiteten sind zwei vom IDM erstellt worden: „Forschung zum Prozess des Mathematiklernens “ (F1) und „Der Mathematiklehrer in Ausbildung und im Beruf“ (F2); Stowasser war Leiter der Exeter-working-group „Geschichte der Mathematik und ihre Rolle bei der Curriculumentwicklung“ (die spätere HPM: International Study Group on the relations between History and Pedagogy of Mathematics).

Der Kongreß in Karlsruhe dokumentierte nicht nur die bedeutende internationale Funktion des IDM; zugleich wurde auch international wahrgenommen, dass die drei konkurrierenden Arbeitsgruppen eine effektive Kooperation etabliert hatten für die konzeptionelle Entwicklung der noch jungen wissenschaftlichen Disziplin. Furinghetti et al. resümierten zum vierten Band der UNESCO-Serie New Trends in mathematics teaching, der praktisch die Proceedings von ICME 3 bildet:

The third ICME, at Karlsruhe, and the publication of the fourth volume of New Trends have been acknowledged as the starting point for the formation of several specialized clusters of specific issues related to mathematics education at an international level. We will group them into three areas: (a) relationships with psychology; (b) the study of social, cultural and political dimensions; and (c) the relevance of a theory for mathematics education.” (Furinghetti et al. 2013, 291)

Das so beschriebene Forschungsprogramm entsprach praktisch dem Forschungs-Profil der drei Arbeitsgruppen.

Mit dem Ende des Jahres 1976 war die Startfinanzierung der VW-Stiftung ausgelaufen und das IDM war in die Finanzierung durch das Land NRW übernommen worden. Als Teil des Haushaltes der Universität Bielefeld, aber ohne eigene Haushaltsziffer, hatte das IDM stets darum zu sorgen, jedenfalls den Ist-Stand zu halten, gegenüber Begehrlichkeiten etwa von Fakultäten. Die Haushaltslage blieb aber über lange Jahre stabil; es gelang vielfach, zusätzliche Mittel für Projekte aus dem Universitäts-Haushalt bewilligt zu bekommen.

Ein wesentliches Kennzeichen für die weitere Entwicklung des IDM wurde jedoch, dass die Haushaltsmittel durch die Einwerbung von Drittmitteln für Projekte aller drei Arbeitsgruppen in beträchtlichem Umfang ergänzt werden konnten. Zunächst waren es die nicht verbrauchten Restmittel, die von der VW-Stiftung für eine Vielzahl von Projekten bewilligt wurden (siehe oben): der Aufbau der Dokumentation, der Ausbau der Bibliothek, die Stipendien für Promovenden, Forschungsprojekte der Arbeitsgruppen. Zunehmend wurden aber regulär Drittmittel eingeworben, von einer großen Anzahl an Drittmittelgebern, angefangen von der VW-Stiftung selbst, der DFG, Stifterverband, Thyssen-Stiftung, und BMBW. Es wurde so möglich, die Forschungsfelder auszuweiten und weitere produktive Qualifikationen einzubeziehen. Im Jahre 1980, zum Beispiel, waren neben 18 hauptamtlichen Wissenschaftlern 14 wissenschaftliche Mitarbeiter in Drittmittelprojekten tätig. Ferner arbeiteten vier Stipendiaten an ihren Dissertationen.

In der Tat wurden nun, die programmatisch geforderte Interdisziplinarität (siehe den Strukturplan 1975 und den Entwicklungsbericht 1977) in die Forschungspraxis umsetzend, Nachwuchs-Wissenschaftler aus anderen Bereichen eingestellt, und das in allen drei Arbeitsgruppen: vorrangig Psychologen und Sozialwissenschaftler. Man kann sagen, dass sich durchgängig eine Methodologie entwickelte, in der disziplinen-übergreifende grundlagen-theoretische Untersuchungen mit praxis-verbundener Unterrichtsforschung verbunden wurden.

Eine Neuerung bildete, unter Auswertung von Erfahrungen mit US-amerikanischen Mathematik-Kliniken, am IDM eine „Mathe-Klinik“ einzurichten, in der Schüler, denen von ihren Lehrern eine „Rechenschwäche“ zugeschrieben worden war, diagnostiziert und nach therapeutischen Lösungen für möglicherweise wirklich vorhandene kognitive Probleme gesucht wurden. Diese Mathe-Klinik wurde zunächst von Jens-Holger Lorenz (in F1) etabliert und hat sich als so überaus erfolgreich und wirksam erwiesen, dass sie als ein Markenzeichen des IDM auch nach seiner Wegberufung stets weitergeführt worden ist.

Zugleich führten die Forschungen zu den Lernprozessen dazu, das Zusammenwirken von Lehren und Lernen als soziale Interaktion unter institutionalisierten Bedingungen zu verstehen. Daraus entwickelte sich eine überaus fruchtbare, sozialwissenschaftlich fundierte Forschung zu sozialen Interaktionen, die das IDM in Kooperation insbesondere mit Ernst von Glasersfeld brachten und inmitten der aktuellen Debatten über Konstruktivismus. In der Folge etablierte sich die enge Zusammenarbeit mit der Forschergruppe Paul Cobb, Terry Wood und Erna Yackel von der Purdue University, die in ein mehrjähriges, von der Spencer Foundation gefördertes internationales Forschungsprojekt mündete.

In F2 wurde der Fokus auf Mathematiklehreraus- und –weiterbildung in mehreren Teilprojekten weiter konkretisiert, in praxisnahen Vorhaben. Ein solches Teilprojekt waren Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten im Bereich der zweiten Phase der Lehrerausbildung für die Sekundarstufe I, in umfangreichen Kooperationen mit Bezirksseminaren der zweiten Phase. Ferner wurde das Projekt „Unterrichtsplanung und Unterrichtshandeln“ durchgeführt, in dem die alltägliche Unterrichtsvorbereitung von Lehrern unter denkpsychologischen und erziehungswissenschaftlichen Aspekten untersucht wurde.

Die in den curricularen Untersuchungen zur Sekundarstufe II in F3 entwickelte Fragestellung zu den Anwendungen des Mathematikunterrichts führte zur Bildung eines neuen Forschungsfeldes, der Mathematik in der beruflichen Bildung.

Die verstärkten Arbeiten zu psychologischen und epistemologischen Grundfragen der Mathematik-Didaktik führten ab 1984 zu der Etablierung von TME durch Steiner: Theories of Mathematics Education. In einer Reihe von internationalen Tagungen zu TME in den folgenden Jahren wurden wesentliche Impulse gegeben zum Vorantreiben der Entwicklung von Mathematik-Didaktik als wissenschaftlicher Disziplin.

Arbeitsgruppenübergreifend führte die technologische Entwicklung zu neuen Forschungs-Fragestellungen. Da die Nutzung von Computern durch die Allgemeinheit, nicht mehr nur von Spezialisten in Rechenzentren - zuerst im Schulunterricht sichtbar wurde durch den Einsatz von Taschenrechnern -, drängte sich das in den 1980er Jahren immer stärker als neues Forschungsfeld auf. In einer Reihe von Grundlagendiskussionen aller Wissenschaftler am IDM wurde als neue gemeinsame Orientierung herausgearbeitet: Mensch-Computer interface. Das so formulierbare gemeinsame Problemverständnis ist beispielhaft in den Forschungsberichten der Universität Bielefeld für 1987/88 und für 1989/90 publiziert worden, als Grundlage der Forschungsberichte der einzelnen Gruppen. Ausgangspunkt war die Feststellung: „Der Computer treibt die Mathematik über die Schule hinaus“. Daher könne auch die Mathematikdidaktik sich nicht mehr allein auf schulische Kontexte konzentrieren.

Die große Anzahl von am IDM betreuten Promotionen belegt eindrucksvoll die wesentliche Rolle des IDM für die Verwissenschaftlichung der Didaktik: im Heft 30 der Schriftenreihe, 1984 aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des IDM publiziert, sind bis 1983 bereits 19 am IDM betreute Dissertationen aufgeführt. Das Memorandum von 1988 (siehe unten) nannte bereits über 40 Promotionen. Bemerkenswert ist weiterhin, dass sich sieben wissenschaftliche Mitarbeiter des IDM an der Universität Bielefeld habilitiert haben – vier davon an der Fakultät für Mathematik, drei dagegen an anderen Fakultäten.

Zugleich zeigt die enorme Anzahl an durchgeführten Tagungen die effektive Vernetzung der sich so entwickelnden Mathematik-Didaktik: von September 1974 bis Mai 1984 waren es bereits 47 Tagungen: zum größten Teil internationale Tagungen, und ein anderer Teil mit inländischen Kooperationspartnern.

Ebenso belegen die Berufungen von Mitgliedern des IDM die Anerkennung der Arbeiten des IDM in der community; bis zum Ende des zentralen IDM waren es 12 Berufungen, in die Bundesrepublik und ins Ausland.

Das IDM hatte zunächst interne Schriftenreihen publiziert:

Im Jahre 1981 weitete das IDM seine Publikationstätigkeit noch aus und gründete die Schriftenreihe: Untersuchungen zum Mathematikunterricht, die vom Aulis-Verlag veröffentlicht wurde. Bis 1995 sind in dieser Reihe 21 Bände erschienen.

Die Bibliothek und Dokumentation des IDM hatten sich als internationaler Attraktionspunkt etabliert.

Die 10-Jahres-Feier des IDM, die am 10. März 1984 mit einer Festveranstaltung und einem wissenschaftlichen Kolloquium begangen wurde, bildete eine beeindruckende Dokumentation des in nur 10 Jahren, trotz der teilweise negativen Rahmenbedingungen, an wesentlichen Fortschritten in der Entwicklung der Mathematikdidaktik Erreichten. Die große Anzahl von Grußadressen von in- und ausländischen Fachkollegen und Vertretern benachbarter Wissenschaften, von in- und ausländischen Institutionen und aus den verschiedenen Praxisbereichen, aus Bildungs- und Schulverwaltung und von Kooperationspartnern belegte die intensive Verankerung des IDM in Wissenschaft und Praxis.

Grotemeyer, als Rektor und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats unterstrich den Erfolg der IDM-Arbeiten, unter Bezug auf die ursprünglichen Aufgabenstellungen:

„Das IDM hat den Auftrag, zur Lösung der oben genannten Probleme beizutragen. Und dies ist zweifellos gelungen. Das IDM hat deutlich sichtbare Spuren markiert, ich meine nicht allein die vielen Bände bedruckten Papiers, ich meine vor allem die zahlreichen Kooperationen, die praktische Zusammenarbeit mit vielen Lehrern, Mitarbeitern aus Schulverwaltungen, Wissenschaftlern, auch aus anderen Ländern; ich meine auch die konkrete Einflußnahme auf Lehrpläne, die ja ebenfalls intensive Zusammenarbeit und geduldige Aufklärungsbemühungen voraussetzt.“ (Zum 10-jährigen Bestehen, 1984, 14).

Und Bauersfeld sprach für das IDM; der Titel seines Vortrags war „Das erste Jahrzehnt – Rückblick und Ausblick“. Er konstatierte „die am IDM bisher entwickelte sachliche kooperative Kompetenz“ (ibid., 36). Als wesentlich für die Aufbauarbeit betonte er die notwendige theoretische Fundierung:

„Es ist von heute aus gesehen deutlich, daß das IDM damals nicht mit Curriculumentwicklung beginnen konnte, nicht einmal mit breiteren Praxiskontakten, weil das Theoriedefizit übergroß war. Es kennzeichnet das eigentümlich widersprüchliche Theorie-Praxis-Verhältnis der Mathematik-didaktik, daß ihre Geschichte eine große Theoriearmut aufweist gegenüber einer sehr hohen Komplexität der Unterrichtswirklichkeit, auf die sich bezieht. Curriculumentwicklung am Anfang unserer Arbeit hätte unvermeidlich die Reproduktion von bestehenden Blindheiten bedeutet. Daher bedeutet ene von der Umgebung oft als abgehoben oder abstrakt empfundene Beschäftigung mit der Aufarbeitung der Komplexität und ihrer geeigneten theoretischen Reduzierung durch Modelle die ersten Jahre“ (ibid., 31).

Zugleich aber habe „der innerhalb des Instituts erreichte theoretische Diskussionsstand [...] in den letzten Jahren zu einer erheblichen Ausweitung der Praxiskontakte geführt und zugleich – nun auf einer reflektierteren Basis - Curriculumentwicklung selbst möglich gemacht“. Als Beispiele nannte er Arbeiten zur Stochastik, zur Mathematik in Berufsschulen und zum Einsatz von Computern im Unterricht (ibid., 31 f.)

Bauersfeld unterstrich die Notwendigkeit eines „hochqualifizierten Kerns von Dauermitarbeitern“ im IDM – insbesondere um die vielen eingeworbenen Drittmittelstellen produktiv einsetzen zu können (ibid., 32); dies offenbar als Hinweis auf Kritik aus dem Beirat (vor dessen Krise) und aus der Universität an der IDM-Konzeption eines hohen Dauerstellenanteils.

Das Strukturproblem

Verhängnisvoll sollte sich für das IDM erweisen, dass dessen satzungsmäßige Einbindung in die Universität Bielefeld lange Zeit offengeblieben war. Die Universität Bielefeld hatte als Reformuniversität eine Mehrzahl von Struktur-Elementen vorgesehen. Die erste Grundordnung von 1969 sah vor: die Fakultäten, das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) und „sonstige Einrichtungen“ (insbesondere Universitätsschwerpunkte, das Sprachenzentrum, da Theologische Institut). Das Rektorat hatte der VW-Stiftung in den Verhandlungen im Herbst 1971 mitgeteilt, das IDM solle als sonstige Einrichtung errichtet werden. 1970 hat das Land Nordrhein-Westfalen erstmals ein Hochschulgesetz beschlossen. Als Grundstruktur der Universitäten waren dort „Fachbereiche“ vorgesehen. Daneben gab es auch „zentrale Einrichtungen“, aber sie waren offensichtlich für Dienstleistungsaufgaben vorgesehen (z.B. die Universitätsbibliothek).

In der Senatssitzung vom 12. Dezember 1973, in dem das IDM seine Arbeitsaufnahme mitteilte und die Intention von Gründungsbeirat und IDM, das IDM als zentrale wissenschaftliche Einrichtung zu verfassen, was vom Senat zustimmend zur Kenntnis genommen wurde, erklärte der Kanzler, die Universität bemühe sich, in das novellierte Hochschulgesetz „Regelungen für Zentrale Dienstleistungseinrichtungen und Zentrale Wissenschaftseinrichtungen“ einzu-bringen. Die erwartete rasche Novellierung ist aber nicht erfolgt. Diese Regelung enthielt erst das nächste Hochschulgesetz von 1980. Evidenterweise hatte der Gesetzgeber keine Befristung der Bildung solcher Einrichtungen beabsichtigt. Neben den zentralen Einrichtungen war auch die Bildung von wissenschaftlichen Einrichtungen der Fachbereiche geregelt worden.

Rektor Grotemeyer hat allerdings lange Zeit blockiert, dass die Universitäts-Satzung dem Hochschulgesetz angepasst wurde. Als das Ministerium eine letzte Frist für die Anpassung gesetzt hatte, begannen endlich 1985 die Beratungen über die Anpassung. Die neugefasste Satzung wurde Anfang 1986 beschlossen. In ihr war sowohl die Gründung zentraler wie auch die Gründung von wissenschaftlichen Einrichtungen auf Fakultätsebene vorgesehen und ausgestaltet, u.a. mit der Bestimmung einer Mindestanzahl von drei Professoren pro Einrichtung, um frühere patriarchalische Strukturen von Mini-Instituten auszuschließen. Die Erwartung, dass nach dieser strukturellen Entscheidung das IDM rasch den beabsichtigten Status erhalten werde, wurde allerdings enttäuscht. Die damit verbundenen Komplizierungen waren in beträchtlichem Maße verursacht durch das Agieren von Fakultäten gegen extra-fakultäre Einrichtungen. In den 1980er Jahren war der Gründungs-Impetus weitgehend verschwunden, zunehmend wurde versucht, die Fakultäten als alleinige Träger von Forschung und Lehre zu definieren und die weiteren Bielefelder Strukturelemente zu marginalisieren.

Das IDM hatte gleich nach der Verabschiedung der neuen Grundordnung einen Satzungsentwurf erarbeitet, er war 1987 vom Beirat gebilligt worden; gleichwohl brachte das Rektorat die Satzung nicht voran. Auf dieser Sitzung gab ein Mitglied, aus einer der Fakultäten, den Hinweis: es sei noch nicht die Entscheidung gefallen, „wie viele zentrale wissenschaftliche Einrichtungen es in Zukunft in der Universität geben werde“. Die sich durchsetzende Fakultäts-Logik wollte also eine Obergrenze solcher Einrichtungen festlegen, um deren Rolle gegenüber den Fakultäten nicht zu stark werden zu lassen.

Die Situation und der Status des IDM waren aber noch von einem zweiten, äußeren Faktor her bedroht. Die Haushaltslage des Landes NRW hatte sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre erheblich verschlechtert. Zusammen mit der Tatsache, dass die Zahl der Lehrerstudenten in den 1980er Jahren immer weiter abgenommen hatte, übte das Wissenschaftsministerium einen sehr starken Druck aus, um Stellenstreichungen an den Universitäten in erheblichem Umfang durchzusetzen.

Das IDM war dabei sofort im Blick des Rektorats. Nicht nur wurde die C3-Stelle von Stowasser nach dessen Berufung an die TU Berlin nicht wiederbesetzt, es wurde bereits seit 1988 die Wiederbesetzung der Stelle von Bauersfeld in Frage gestellt – obwohl seine Emeritierung erst für 1991 anstand! Tatsächlich sah aber die vom Rektorat 1988 erstellte Liste der „freiwilligen“ Stellenabgaben eine überproportionale Beteiligung des IDM vor, prozentmäßig stärker als bei den Fakultäten: mit einer C4-Stelle (beim Ausscheiden von Bauersfeld und zwei Stellen von nicht-wissenschaftlichen Mitarbeitern. Intensive Verhandlungen führten dann zunächst 1989 dazu, dass die C4-Stelle wieder aus der Liste herausgenommen wurde und dass die zwei weiteren Stellen auf eine und eine halbe Stelle reduziert wurden.

In dieser Situation entschloss sich das IDM dazu, ein „Memorandum“ zu erarbeiten, um – auch aufgrund der in den nunmehr fünfzehn Jahren seines Bestehens gemachten Erfahrungen - die Entwicklung seines Problemfeldes, seiner Arbeitsstrukturen und seiner Forschungs-Perspektiven darzustellen, insbesondere für die Universitätsöffentlichkeit und für die Beratungen im Senat der Universität. In der Tat hat das Memorandum die erreichten Verständnisse mathematik-didaktischer Forschung in prägnanter Weise dargelegt.

Als neues Element in der Beziehung zu den Fakultäten trat ab etwa 1989 die Frage der Lehrbeteiligung auf: für die Bildungspolitik ganz unerwartet wendete sich der Trend des Rückgangs der Lehrerstudenten um. Ab dem Wintersemester 1989/1990 erfolgte ein starker Anstieg der Zahl der Studienanfänger für das Lehrerstudium. Ein Jahr später, zum Wintersemester 1990/1991, wurde für Nordrhein-Westfalen ein weiterer Anstieg um 22 Prozent festgestellt. Die Fakultäten, in ihren Lehrkapazitäten reduziert aufgrund der Stellenstreichungen, begannen jetzt, voller Neid auf das IDM zu blicken und es für privilegiert zu erklären: das IDM wurde nunmehr mit Fragen konfrontiert, wieso es „nur“ Forschung betreibe und nicht an den normalen Lehraufgaben teilnehme3. Dass bei der Gründung die Mathematik-Fakultät ausdrücklich keine Lehrverpflichtungen der IDM-Wissenschaftler hatte institutionalisieren wollen, war den anderen Fakultäten nicht begreiflich zu machen.

Als endlich die Anpassung der IDM-Satzung an die Grundordnung, und damit die Verfassung als zentrale wissenschaftliche Einrichtung (zwE), vom Rektorat angegangen wurden, hatten sich wesentliche Rahmenbedingungen geändert. Grotemeyer hatte die Anpassung der Grundordnung an das neue Hochschulgesetz von 1980 jahrelang verzögert, weil er um die rechtliche Möglichkeit einer erneuten Wiederwahl fürchtete – er amtierte seit 1969 ununterbrochen als Rektor. Die langen Amtszeiten der Gründergeneration wurden von der Universitätsöffentlichkeit zunehmend in Frage gestellt. 1987 ist daher Dietrich Storbeck, Prorektor für Struktur, Planung und Bau-Angelegenheiten, nicht wiedergewählt worden. Storbeck hätte die Errichtung zentraler Einrichtungen zweifellos gemäß den Gründungskonzepten organisiert. Neue Prorektorin wurde von Januar 1988 bis Sommersemester 1992 Karin Knorr-Cetina, von 1983 bis 2001 Professorin für Soziologie an der Soziologie-Fakultät. Ihr Fachgebiet war die Wissenschaftsforschung, und nutzte die neue Position, um den USP Wissenschaftsforschung zur zwE zu befördern. Wegen der angestrebten Begrenzung der Anzahl von zwE’s sah sie das IDM als dafür zu beseitigendes Haupthindernis.

Es gelang ihr als Prorektorin, zentralen Einrichtungen die strukturelle Basis zu entziehen und sie praktisch den Fakultäten unterzuordnen – durch den von ihr erfundenen Kunstgriff einer nur befristeten Errichtung. Sie überzeugte zunächst Rektor Grotemeyer, man müsse zwE’s wie DFG-Sonderforschungsbereiche behandeln, mit regelmäßigen Evaluationen. Anschließend gelang es ihr, auch den Senat dafür zu gewinnen; er beschloss am 23. Januar 1991 die Vorlage „Sicherstellung von Veränderungs-Möglichkeiten fakultätsübergreifender wissenschaftlicher Einrichtungen“. Ebenfalls im Gegensatz zum Gesetzestext sprach der Beschluss nicht von „zentralen“, sondern von „fakultätsübergreifenden“ Einrichtungen – und damit die Priorität der Fakultätslogik unterstreichend. Im Normalfall sollten zentrale Einrichtungen nur auf acht Jahre errichtet werden, mit einer Zwischen-Betrachtung durch den Senat nach vier Jahren. Der Errichtungsbeschluss wurde daher verbunden mit dem Beschluss der Auflösung nach acht Jahren – eine Weiterführung nach den acht Jahren war nur möglich mit einer Zweidrittel-Mehrheit des Senats.

Unmittelbar nach der Senatsentscheidung vom 23. Januar fand am 25. und 26. Januar eine wichtige Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats statt. Grotemeyer machte sich hier zum Sprachrohr von Knorr-Cetina. Er erklärte laut Protokoll:

„In der Forschung hat sich gezeigt, daß sich fachübergreifende Forschung auf Dauer nicht institutionalisieren läßt. Die eigentliche interdisziplinäre Forschung findet in den Sonderforschungsbereichen statt“.

Tatsächlich sind Sonderforschungsbereiche typischerweise fachlich hoch spezialisiert, innerhalb von Fakultäten oder Fachbereichen. Der übrige Beirat diskutierte den Senatsbeschluss mit Besorgnis. Helmut Behr als Beirats-Mitglied betonte dazu mit vollem Recht, dass auf acht Jahre befristete Stellen für Bewerber nicht attraktiv seien. Und die Dekane der Pädagogik- und der Mathematik-Fakultät waren eingeladen worden, um Stellung zu nehmen zu der von der Struktur-Kommission an sie gerichteten Frage, wie sie die künftige Stellung des IDM sehen. Beide Stellungnahmen verdeutlichten die absolut schwache Stellung des IDM, das bislang keinerlei institutionellen Rückhalt oder Status in der Universität hatte. Der Pädagogik-Dekan Dieter Timmermann, später als Rektor von 2001 bis 2009 die Herabstufung des IDM zur Einrichtung der Mathematik-Fakultät aktiv betreibend, vertrat den Beschluss der Fakultätskonferenz Pädagogik – entgegen dem Votum einer vorbereitenden Kommission -, das IDM solle nur als Einrichtung einer einzelnen Fakultät, der Mathematikfakultät, verfasst werden. Zugleich forderte er eine Beteiligung des IDM an der Primarstufen-Lehrerausbildung. Der Mathematik-Dekan, Friedrich Götze, erklärte, seine Fakultät habe noch nichts beschlossen, wehrte sich aber intensiv gegen eine Angliederung des IDM an die Fakultät – das IDM sei nicht ausschließlich personell und konzeptionell auf Mathematik orientiert.

Anstatt nun aber die Verfassung des IDM im Senat voranzubringen, lud das Rektorat sämtliche Wissenschaftler des IDM zu einer Besprechung am 26. Juni 1971 ein. Das Gründungskonzept des IDM gelte nicht mehr, wurde den überraschten IDM-Mitgliedern erklärt. Die „Extraposition“ des IDM störe: auf Landes- und auf Hochschulebene. Grundlage weiterer Besprechungen müsse sein: das IDM sei stärker mit den Grundaufgaben der Universität zu verbinden; die Arbeitsgruppen seien zusammenzuhalten in Fakultäten – diese seien die Grund-Einheiten von Forschung und Lehre. Es sei die Aufnahmebereitschaft zu klären von Pädagogik-, Mathematik- und Psychologie-Fakultät und des USP Wissenschaftsforschung. Auslösendes Moment hierfür sei das Ausscheiden von Bauersfeld. Knorr-Cetina erklärte nicht nur, es gebe ein verändertes Klima im Senat; es bestehe eben ein „Konkurrenzkampf“ um Projekte. Sie verstieg sich sogar allen Ernstes zu der Aussage: die Integration der einzelnen Wissenschaftler in Fakultäten sei doch viel besser – sie könnten einmal im Jahr zusammenkommen und würden so viel effektiver arbeiten.

In dieser Situation der Bedrohung mit Auflösung wandte sich das IDM unmittelbar an die nationale und internationale community der Mathematik-Didaktik und informierte über diesen Stand; es bat um eine Bewertung des Instituts auf der Grundlage eigener Arbeitsbeziehungen zum IDM. Die Versendung im Juli hatte einen für das IDM überwältigenden Erfolg: In kurzer Zeit, bis Ende Oktober, gingen beim Rektor etwa 150 Schreiben ein, die dem Rektorat und der Universität die überaus hohe Bedeutung und Anerkennung des IDM verdeutlichten. Erst dadurch wurde bewusst, welch einen wissenschaftlichen Schatz die Universität besaß.

Nunmehr hatte das Rektorat am 16. September eine Empfehlung an die Strukturkommission beschlossen, wonach die Idee der Auflösung vom Tisch war und das IDM als zentrale wissenschaftliche Einrichtung verfasst werden sollte. Allerdings war dies mit der weiterhin absurden Absicht verbunden, den Stellenbestand des IDM auf die Hälfte zu reduzieren.

Insgesamt hatte sich nun das Stimmungsbild in der Universität erheblich gewandelt. Es folgten relativ konstruktive Beratungen in der Strukturkommission; es sollte weiterhin Stellen-Kürzungen geben, aber nicht so starke. Schließlich erfolgte am 27. Mai 1992 die Senats-Sitzung mit der Entscheidung über die Empfehlung der Strukturkommission zum IDM. Diese hatte eine befristete Errichtung als zentrale Einrichtung vorgeschlagen, mit Stellenkürzungen und der Einführung von Lehraufgaben. Insbesondere sollte es nur zwei Professoren am IDM geben, ein dritter solle aus einer Fakultät kooptiert werden. Im Senat erfolgte eine intensive und hoch aufschlussreiche Diskussion, die das Überwiegen der Fakultätsinteressen dokumentiert – insbesondere in Argumentationen gegen Dauerstellen und für Lehrverpflichtungen sowie für Stellenabgaben zugunsten der im Aufbau befindlichen Fakultät für Gesundheitswissenschaften (siehe das Protokoll in Schubring 2018, 244 ff.). Das IDM hatte hier den alternativen Antrag auf unbefristete Errichtung gestellt, was als Sonderfall nach dem Senatsbeschluss von 1991 möglich war; Vertreter der Studenten und des Mittelbaus unterstützten den Antrag.

Bemerkenswert war hingegen das Votum des Mathematik-Dekans Rudolf Ahlswede gegen Stellenkürzungen und gegen eine Integration in die Mathematikfakultät. Es kam schließlich sogar zur Abstimmung über eine unbefristete Errichtung – mit dem Ergebnis 10 zu 7 für die unbefristete Errichtung. Aufgrund des Hochschulgesetzes musste der Antrag aber auch die Mehrheit der Professoren erhalten; da dies nicht der Fall war, blieb es bei der befristeten Errichtung auf acht Jahre – mit der Möglichkeit einer Weiterführung auf der Grundlage einer Neubetrachtung.

In der nachfolgenden 21. Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats am 27. und 28. November 1992 wurden intensive Bedenken und Besorgnisse wegen der erfolgten Strukturänderungen geäußert: nur befristete Errichtung, Stellen-Kürzungen, Bedrohung von Professorenstellen und Lehrverpflichtung

Die reduzierte Fortexistenz

Formell war nun endlich, nach 29 Jahren!, das IDM in der von Anfang an intendierten Form errichtet worden, als zentrale wissenschaftliche Einrichtung. In den sechs Jahren, seit denen die Errichtung gemäß Hochschulgesetz und Grundordnung bereits möglich gewesen wäre, hatte sich die Universität Bielefeld jedoch grundlegend verändert. Tatsächlich verhinderten der nunmehr beschlossene konkrete Status und der Gesamtkontext in der Universität, dass das IDM seine Funktion als Forschungsinstitut noch produktiv weiterhin realisieren konnte. Aufgrund der Befristung wurde die Entscheidung über eine Weiterführung zum Spielball von Fakultäts-Interessen. Die Stellen des IDM wurden zum Pool für den Aufbau von Fakultäten. Der Haushalt wurde stets weiter gekürzt. Die bislang als äquivalent anerkannten Lehrtätigkeiten in der Lehrerfortbildung zählten nicht mehr.

Gleichwohl gab es zunächst noch ein Weiterleben des IDM, auf der reduzierten Grundlage. Die formelle Basis dafür war die Satzung des IDM als zwE, die erst am 15. April 1994 unter dem Namen „Verwaltungs- und Benutzungs-Ordnung“ vom Ministerium genehmigt wurde. Der bisherige Wissenschaftliche Beirat wurde durch einen beträchtlich kleineren Wissenschaftlichen Beirat ersetzt.

Im Sinne des Weiterlebens hat das IDM im Dezember 1993 eine Veranstaltung zum 20-jährigen Bestehen des IDM durchgeführt. Und am 25. April 1998 hat es sogar eine Festveranstaltung zum 25-jährigen Bestehen gegeben – verbunden mit der Feier für den sechzigsten Geburtstag von Otte.

Die Stelle von Bauersfeld ist nach seiner Emeritierung 1992 zunächst vertreten worden, dann aber doch für die Gründung der Gesundheitswissenschaftlichen Fakultät verwendet worden. Da Steiner 1994 emeritiert werden würde, hat das Rektorat statt der zwei C4-Stellen nur eine C3-Stelle zur „Wieder“-Besetzung zugestanden. Den C4-„Hut“ der Steiner-Stelle hat das Rektorat benutzt, um einer Stelle in einer Fakultät eine höhere Wertigkeit zu geben. Das Rektorat setzte so also schon unmittelbar die vom Senat abgelehnte Konzeption von Knorr-Cetina und der Struktur-Kommission durch: die notwendige dritte Professur wurde lediglich als Kooptation eines bereits an einer Fakultät tätigen Professors realisiert. Kooptiert wurde Norbert Meder, Pädagogische Fakultät, Spezialist für Medienpädagogik.

Beim Berufungsverfahren für die C3-Stelle hat das Direktorium des IDM allerdings einen strukturellen Fehler gemacht. Das Rektorat hatte das IDM angefragt, ob es nach einem zuvor beim Zentrum für Lehrerbildung praktizierten Modus für die Besetzung der C3-Stelle verfahren wolle, nämlich nur eine Fakultät mit der Federführung zu beauftragen. Das IDM war als zwE „unter der Verantwortung des Senats“ errichtet worden und mithin waren mehrere Fakultäten zu beteiligen. Schon aufgrund des interdisziplinären Charakters wäre es unabdingbar gewesen, nicht die Federführung einer Fakultät zu übertragen. Es ist ganz unerfindlich, was das Direktorium damals veranlasst hat, auf den Vorschlag des Rektorats einzugehen. Es war dann die Mathematikfakultät, die mit der Federführung für das Verfahren beauftragt wurde. Der Weg in eine Einrichtung der Mathematik-Fakultät war damit vorgezeichnet. Berufen wurde dann Wilhelm Schipper, so dass die drei Professoren im nunmehr „Vorstand“ genannten Direktorium Otte, Meder und Schipper waren.

Verhinderte Neubetrachtung und das Ende

Aufgrund der zwei unterschiedlichen Daten – Errichtung durch den Senat 1992 und Genehmigung durch das Ministerium 1994 – gab es Unsicherheiten, wann die vier Jahre für die Zwischenbetrachtung anstehen. Das Verfahren wurde schließlich 1997 eingeleitet. Das IDM hat dafür einen Tätigkeitsbericht erarbeitet und der Strukturkommission vorgelegt. Diese hat dann einstimmig dem Senat am 3. Juni 1998 empfohlen, das IDM in die zweite 4-Jahres-Stufe fortzuführen. Der Senat hat darüber am 24. Juni beraten. Es gab dabei wiederum negative Beiträge aus einigen Fakultäten voller Unverständnis für das Institut, aber insgesamt wurde die Kommissions-Empfehlung akzeptiert.

Das IDM versuchte, seine Position in der Universität durch die Gründung eines Graduierten-Kollegs zu stärken. Initiativen dafür seit 1998 scheiterten schließlich definitiv im Jahre 2000; die Regelungen der DFG erforderten dafür innerdeutsche Partner als gemeinsame Antragsteller – und die vielfachen Gespräche mit mehreren mathematik-didaktischen Einrichtungen blieben ergebnislos.

Da die Zwischenbetrachtung des IDM durch den Senat 1997 eingeleitet und schließlich 1998 beschlossen worden war, stand die Neubetrachtung – nach acht Jahren – frühestens im Jahre 2001 an. Das Rektorat drängte trotzdem schon im Jahre 1999 auf die Durchführung der Neubetrachtung. Das Rektorat nahm dafür zwei Punkte als Anlass: erstens die künftige Emeritierung von Otte und damit die Frage der Wiederbesetzung – oder besser: einer anderweitigen Verwendung seiner Stelle, obgleich die Emeritierung erst für 2004 anstand. Und zweitens der von der Landesregierung NRW den Hochschulen aufgezwängte „Qualitätspakt“: eine neue Umschreibung für eine weitere Welle von Stellenstreichungen. In seiner Sitzung vom 15. September 1999 hatte der Senat zu diesem „Qualitätspakt“ in Bezug auf das IDM u.a. den folgenden „Bemerkungen zu Kürzungsvorschlägen“ zugestimmt:

Das Rektorat interpretierte in der Folgezeit den Senatsbeschluss als Freibrief, die „noch offene“ Organisationsform nach eigenem Befinden zu realisieren. Ansatzpunkt dafür waren die 1980, bei der PH-Integration, widerwillig in die Fakultät aufgenommenen Didaktiker, für die dort eine getrennte Abteilung eingerichtet worden war. Das Rektorat drängte nun, unter Federführung von Timmermann, inzwischen Prorektor, auf die Integration der drei Professoren dieser Didaktik-Abteilung in das IDM – zunächst unter starkem Widerstand der Mathematik-Fakultät.

Ohne einen Beschluss des Senats traf das Rektorat am 26. Februar die Entscheidung zur Umwandlung der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung IDM in eine wissenschaftliche Einrichtung der Fakultät für Mathematik:

Die Mathematik-Fakultätskonferenz fasste am 18. April 2002 einstimmig den vom Rektorat erforderten Beschluss:

„Die Fakultät beschließt, das IDM als wissenschaftliche Einrichtung der Fakultät für Mathematik in dem mit dem Schreiben des Dekans vom 28.6.2001 und vom Rektor mit Schreiben vom 12.3.2002 beschriebenen Umfang einzurichten.“

Aufgrund der neuen Struktur wurden automatisch alle Mitglieder der bisherigen Abteilung Didaktik Mitglieder des IDM. Die Umwandlung sollte zum 1. Januar 2003 in Kraft treten. Das erfolgte nur formal, aber nicht faktisch: Einerseits war die Nachfolge von Otte noch nicht geregelt, und andererseits gab es endlose Beratungen mit der Fakultät über die Satzung des Fakultäts-IDM. Erst am 1. März 2006 wurde sie im Amtsblatt der Universität publiziert. Die Ausschreibung der Otte-Stelle als C4-Professur war Anfang April 2002 erfolgt – mit dem Schwerpunkt in den beiden Sekundarstufen. Das Berufungsverfahren verlief sehr langwierig. In einer zweiten Runde wurde Rudolf vom Hofe berufen. Vom Hofe nahm an und trat seine Stelle am 1. April 2006 an. Damit waren alle Voraussetzungen gegeben für die volle Realisierung der neuen Struktur. Am 3. April konstituierte sich in einer Vollversammlung die neue Einrichtung. Im Anschluss daran konstituierte sich der Vorstand und wählte vom Hofe als Geschäftsführenden Leiter eines IDM als Einrichtung der Fakultät für Mathematik.

Resumé

Das Beispiel des IDM zeigt, dass relativ unabhängige Zentralinstitute von den möglichen Bezugsfakultäten ebenso wenig geliebt werden wie Forschungs-Institute innerhalb einer Universität. Trotz dieser Rahmenbedingungen hat das IDM insgesamt bedeutende Wirkungen erzielt. Das IDM hatte auch in der Mehrheit Glück mit der Wahl seiner Mitarbeiter, so dass eine breite Dissemination zu den Einsichten aus den Arbeitsgruppen möglich wurde, insbesondere durch die Berufung der vielen Mitarbeiter in Professorenstellen an andere Universitäten. Wie der enorme und internationale Proteststurm 1991 nach der Absicht des Rektorats, das IDM aufzulösen, eindrücklich belegt hat, hat das IDM eine entscheidende Rolle wahrgenommen bei der Verwissenschaftlichung der Mathematik-Didaktik und der Entwicklung von Theorie-Rahmen. Die Aussaat ist international vielleicht intensiver aufgegangen als national; aber auch national hat sich eine enorme Veränderung vollzogen, haben sich vielfach Theorieansätze entwickelt. Tatsächlich hat sich empirische Forschung so stark als dominantes Forschungsparadigma durchgesetzt, dass Vertreter von Stoffdidaktik beklagen, auf verlorenem Posten zu stehen und nicht mehr als publikationsfähig anerkannt zu sein in der deutschen Mathematikdidaktik-community.

Als Ironie der Geschichte sei noch angemerkt: Die Mitglieder des USP Wissenschaftsforschung hatten 1993 ihr Ziel erreicht, dass der USP als zentrale wissenschaftlichen Einrichtung hochgestuft wurde, unter dem Namen Institut für Wissenschafts- und Technikforschung. Nach der Emeritierung von dessen spiritus rector Peter Weingart und mehreren gescheiterten Versuchen, einen Nachfolger zu berufen, wurde es 2012 aufgelöst.

Nach dem Ende des IDM als Forschungseinrichtung hat das IPN in Kiel zu seinen bisherigen vier naturwissenschaftlichen Abteilungen eine fünfte hinzugefügt, für Mathematik-Didaktik.

Bibliographie

Fulvia Furinghetti, José Manuel Matos and Marta Menghini, From Mathematics and Education to Mathematics Education, in: Ken Clements et al. (Eds.), Third International Handbook of Mathematics Education, (New York: Springer, 2013), 273-302.
International Commission on Mathematical Instruction (ed.), Proceedings of the First International Congress on Mathematical Education / Actes du Premier Congrès International de l'Enseignement Mathématique (Dordrecht: D. Reidel, 1969).
Gert Schubring, „The road not taken - The Failure of Experimental Pedagogy at the Royaumont Seminar 1959“, Journal für Mathematik-Didaktik 35: 1 (2014), 159-171.
Gert Schubring, Die Geschichte des IDM Bielefeld als Lehrstück. Ein Forschungsinstitut in einer Universität (Aachen: Shaker Verlag, 2018).
Hans-Georg Steiner, 1994, Institut für Didaktik der Mathematik, in: Peter Lundgreen (Hrsg.), Reformuniversität Bielefeld 1969-1994. Zwischen Defensive und Innovation, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte, 308-313.

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1 Diese Darstellung beruht ganz wesentlich auf dem Buch: Gert Schubring, Die Geschichte des IDM Bielefeld als Lehrstück. Ein Forschungsinstitut in einer Universität (Aachen: Shaker Verlag, 2018). Quellenangaben weden daher lediglich bei Zitaten gegeben.
2 Hurrelmann wurde hier als Vertreter der Pädagogik-Fakultät Bielefeld gewählt. Bald danach begann er aber sich zu profilieren als Vorantreiber der Gründung einer Gesundheitswissenschaftlichen Fakultät. In der Tat war es für die Gründung dieser Fakultät, dass schließlich die Bauersfeld-Stelle nach dessen Emeritierung vom Rektorat umgewidmet wurde.
3 Die Lehrverpflichtungen waren bislang durch äquivalente Leistungen in der Lehrerfort- und -weiterbildung wahrgenommen worden.