Auge um Auge - und die ganze Welt wäre blind.

Khalil Gibran (1883-1931) libanesisch-amerikanischer Dichter und Philosoph


Auge um Auge, das ist die alttestamentarische Rachementalität. Die Idee, dass ein Unrecht gesühnt werden kann, allein dadurch ein zweites zu begehen. Ein Unsinn mit dem Jesus bereits im Neuen Testament aufräumt, wenn er sagt, dass man seine linke Wange hinhalten soll, wenn man auf die rechte geschlagen wurde. Und man sollte sich selbst fragen, ob ein Leid, dass ich ertragen musste, dadurch besser wird, das ich es jemand anderem nocheinmal antue. Keine Wunde heilt schneller, nur weil ich sie jemand anderem auch schlage. Kein Toter kann lebendig gemacht werden durch den Tod eines weiteren Menschen. Die Welt wäre um einiges friedlicher, wenn die Menschen vom Auge um Auge lassen könnten. Wieviele Konflikte beruhen auf vergangenem Unrecht, dass die eine Partei nun sühnen will. Die Kriege auf dem Balkan und der Nahostkonflikt wären naheliegende Beispiele.
Aber man muss gar nicht mal bis zum Krieg gehen bei diesem Zitat. Auch zwischenmenschlich ist ein Aufrechnen wenig angebracht. Man kann Auge um Auge ja auch mit positiven Dingen spielen und bös fragen, ob man von den anderen auch das wiederbekommt, was man ihnen gibt. Ein Nullsummenspiel in einer Freundschaft zu spielen ist aber ziemlich daneben. Man kann die "Leistungen" einer Freundschaft wohl kaum gegeneinander aufrechnen. Will ich für jedes Lob, jedes gute Wort eines wiederbekommen? Soll ich anfangen Buch zu führen, wer wie oft nett zu mir war? Oder sollte ich gar ausrechnen, wieviel Geld die anderen schon in mich "investiert haben" und ob sich das mit meinen Ausgaben deckt? In solchen Fällen wird die Freundschaft zur Farce. Entweder ich will etwas gutes tun, etwas verschenken oder nett sein, einfach so, erwartungsfrei, oder ich lasse es bleiben, das wäre ehrlicher.


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