Fassung vom 08.10.2006. Erscheint in mathematica-didactica. Es fehlt noch Abschnitt 5.2.
(Erste Fassung: Oktober 2005)

Panorama-Fotografie und mehr …
Sinuskurven überall

von

Barbara Ringel und Claus Michael Ringel, Bielefeld

Kurzfassung: In der letzten Zeit werden in Zeitungen und im Internet immer häufiger Panorama-Fotos veröffentlicht. Panorama-Fotos, das sind 360o-Bilder, weisen extreme Verzerrungen auf, die den Betrachter irritieren. Statt der erwarteten geraden Linien wird er mit einer Vielzahl von Bögen, die erklärungsbedürftig sind, konfrontiert. Es wird hier gezeigt, dass für Panoramabilder das Auftreten von Sinus-Kurven mit gleicher Frequenz aber mit beliebiger Amplitude und beliebigen Phasenverschiebungen charakteristisch ist. Es wird herausgearbeitet, dass derartige Sinuskurven ganz essentiell zum Sehen gehören, dass sie allerdings durch die übliche Fixierung auf den starren Blick, der durch die Zentralperspektive beschrieben wird, ausgeblendet werden. Mit etwas Übung bemerkt man die Allgegenwart dieser Sinusbögen. Insgesamt beschäftigen wir uns mit den (nicht nur mathematischen) Hintergründen der Panorama-Fotografie.

Abstract: Recently an increasing number of panorama fotos has been exhibited in newspapers as well as in the internet. Such panorama fotos (often providing a 360o-picture) yield extremal distortions which irritate the viewer. Instead of the expected straight lines one is confronted with a multitude of curved bows. We are going to outline that these are partial sine curves. Such sine curves (with identical frequence, but arbitrary amplitude and arbitrary phase shift) are essential for our visual perception: The usual obsession with the stiff view described by the central perspective hides this phenomenon. But with a little training one realizes soon the ubiquity of such sine curves. Altogether we want to describe part of the mathematical and non-mathematical background of panorama fotografy.

1. Der Landschaftspark München Riem im Rundblick: Analyse

In der letzten Zeit werden in Zeitungen und im Internet immer häufiger Panorama-Fotografien veröffentlicht. Solche Bilder entstehen, indem die Kamera einen vollen Schwenk um 360° durchführt. Genau genommen werden dabei viele kleine senkrechte Streifen aneinander gesetzt, bis der Kreis geschlossen ist. Das Gesamtbild kann man sich als einen abgerollten Zylinder vorstellen. In der Süddeutschen Zeitung fand sich das folgende Panorama-Bild (Abb. 1) vom Landschaftspark Riem in München. Es schreit geradezu danach, die hier sichtbaren Kurven zu untersuchen. Sie erinnern an Parabeln, oder sind es doch eher Teile von Hyperbeln, oder …? Will man dies untersuchen und die zugehörigen Funktionsterme entwickeln, muss man sich zunächst Gedanken machen über die Projektionen, die hier eine Rolle spielen.


Abbildung 1

1.1. Zentralprojektion auf einen Zylinder.

Wie wird ein Punkt P (etwa ein Vogel) bei einer solchen Fotografie auf dem Panorama-Bild (dem abgerollten Zylinder) dargestellt? Zur Untersuchung dieser Frage werden lediglich der 2. Strahlensatz und die Definition des Sinus im rechtwinkligen Dreieck benötigt, dies allerdings im R3. Das sieht dann etwa folgendermaßen aus:

Abbildung 2

Wir verwenden hier für den R3 ein uvw-Koordinatensystem, um im Panorama-Bild mit einem xy-Koordinatensystem arbeiten zu können. Projektionszentrum ist der Ursprung, den wir mit Z bezeichnen werden, projiziert wird auf den Zylinder über dem Einheitskreis. Die uv-Ebene ist also die (waagrechte) Ebene in Augenhöhe, sie entspricht auf dem projizierten Bild der Horizontlinie.

Unser Punkt P (der Vogel) liefert als Bildpunkt den Punkt P' auf dem Zylinder. Als erstes wollen wir die Höhe y von P' über der uv-Ebene bestimmen. Bezeichnen wir mit Q den Fußpunkt der Projektion von P auf die uv-Ebene, so erhalten wir links die Strahlensatzfigur QZP


Abbildung 3

Die Länge einer Strecke AB wird im Folgenden mit |AB| bezeichnet; entsprechend ist |ZQ'| = 1. Wir setzen |P'Q'| = y und |PQ| = h. Der zweite Strahlensatz liefert |P'Q'| : |PQ| = |ZQ'| : |ZQ|, also y : h = 1 : |ZQ|, und demnach y = h/|ZQ|.

Wir zeichnen die Parallele s zur u-Achse durch den Punkt Q. Sei a der Abstand der Gerade s vom Ursprung Z (in der Zeichnung ist dies gerade die Länge der Strecke ZA). Wir betrachten nun das Dreieck ZQA. Den Winkel zwischen der x-Achse und der Strecke ZQ haben wir mit φ bezeichnet. Das Dreieck ZQA zeigt, dass |ZQ| = a/sin(φ) gilt. Daher ist

y = h/|ZQ| = (h/a).sin(φ)
.

Das gesuchte Panorama-Bild entsteht, wenn man den Zylinder abrollt: Abgerollt erhält man als xy-Koordinaten des Punkts P' die folgenden beiden Werte: x = -φ (das Minus-Zeichen erhalten wir, da der Drehwinkel φ zwischen der u-Achse und der Strecke ZQ' entgegengesetzt zum Uhrzeigersinn angesetzt wird, im xy-Koordinatensystem des abgerollten Zylinders aber rechtsorientiert gelesen wird), und y ist wie bisher der Abstand von P' von der uv-Ebene, da wir die Horizontlinie auf die x-Achse legen.

Nehmen wir nun zusätzlich an, dass P auf einer Geraden g liegt, die parallel zur u-Achse verläuft (dann ist s die Vertikalprojektion der Geraden g in die uv-Ebene), so ist klar, dass der Quotient konstant ist: Das Bild der Geraden g auf dem abgerollten Zylinder ist also eine Sinus-Kurve. Wirklich? Nein, wir erhalten nur die Hälfte einer Sinuskurve, nämlich den Bogen mit 0 < φ < π.

Unabhängig von diesen Überlegungen sieht man: Je weiter der Punkt P auf der Geraden g nach außen wandert, umso geringer ist die Höhe y, der Punkt P' liegt dann fast auf dem Einheitskreis. Das entspricht der Erfahrung, dass weit entfernte Objekte (fast) auf der Horizontlinie liegen. Wir haben hier vorausgesetzt, dass die Gerade g zur u-Achse parallel ist. Im Allgemeinen werden wir für eine beliebige horizontale Gerade einen entsprechenden Bogen erhalten, der allerdings entlang der x-Achse verschoben ist.

1.2. Die Sinus-Bögen im Panoramabild des Landschaftsparks Riem.

Kehren wir zurück zum Panorama-Bild vom Landschaftspart Riem: rechts sehen wir eine geradlinige Straße: unser Punkt P (hier nun ein Punkt der Straßenkante) liefert beim Schwenk der Kamera einen Bildpunkt P’, der sich sinusförmig bewegt: wir erhalten auf dem Bild die halbe Sinuskurve - die Straße rückt irgendwann ins Blickfeld und verschwindet nach einer Drehung von 180° wieder aus dem Blickfeld.

Wir beginnen nun umgekehrt mit dem Panorama-Bild und stellen uns die Aufgabe, einen derartigen Sinus-Bogen effektiv zu beschreiben. Es bietet sich hier an, einen der beiden Fluchtpunkte F1 (an dem die Straße in der Horizontlinie endet) als Ursprung zu wählen, und dann den 2. Fluchtpunkt (die 2. Nullstelle) F2 durch Ablesen anzupeilen, und damit haben wir die Periodenlänge. Neben der Periodenlänge haben wir als zweiten Parameter die Amplitude, also den Quotienten h/a zu bestimmen: auch hier ist man auf Augenmaß und Probieren angewiesen (manchmal werden die Maße von a und h aber auch bekannt sein).

Zusätzlich halten wir Folgendes fest: Alle Parallelen zu unserer Straßenkante erreichen die Horizontlinie in denselben beiden Punkten. Wir erhalten also eine ganze Schar von Sinus-Bögen durch unsere Fluchtpunkte, die parallele Geraden der Realität (Straßenränder, Baumreihen, Schattenränder der Bäume, Baumwipfel) auf dem Foto wiedergeben.


Abbildung 4a


Abbildung 4b

Wir haben oben notiert, dass die x-Achse des Panorama-Bilds den Rechtsschwenk der Kamera beschreibt, im Gegensatz zur üblichen Konvention eines Drehwinkels, der einem Linksschwenk entsprechen würde, dass also x = -φ gesetzt wird. Die Funktionsgleichungen, die sich hier beim Experimentieren ergaben, sind:

Dabei haben wir den zweiten Fluchtpunkt auf den Punkt F2(19,63 | 0) nach Augenmaß gesetzt. Die Bilder wurden mit dem Programm GeoGebra (Version 2.6b) erzeugt; die Skalierung der Achsen ist linear im Verhältnis 1:1. Gezeichnet sind hier zur Verdeutlichung jeweils volle Sinus-Kurven, auch wenn nur die rechten Bögen zur Modellierung gebraucht werden.

Ganz allgemein gilt: Gerade Linien unterhalb der Augenhöhe ergeben einen unteren (also konkaven) Sinus-Bogen, Linien oberhalb entsprechend einen oberen (also konvexen) Sinusbogen.

Noch einige Hinweise zum Panorama-Bild von Riem:

  1. Die Seilbahn, die am rechten Bildrand recht deutlich zu erkennen ist, verläuft offensichtlich nicht parallel zur Straße, der Fluchtpunkt ist hier ein anderer. Eine Sinuskurve, die ihren Verlauf nachzeichnen würde, gehört deshalb nicht zur betrachteten Schar. (Außerdem ist bei der Seilbahn zu berücksichtigen, dass die Seile sicher keine Gerade bilden, sondern durchhängen.)
  2. Das Bild musste für die Kurvenanpassung leicht gedreht werden, da offensichtlich die Drehachse der Kamera bei der Aufnahme nicht absolut vertikal ausgerichtet war.
  3. Das Bild zeigt kein vollständiges Panorama von 360o, wie man an den beiden Fluchtpunkten, die außerhalb des Bildes liegen, erkennen kann. Es fehlen etwa 12o (man beachte, dass das Hintergrundbild in Abbildung 4 b bei den Kurvenanpassungen mit GeoGebra links noch weiter beschnitten wurde).

1.3. Ebene Schnitte eines Zylinders.

Das Problem, mit dem wir uns beschäftigen, lässt sich auch anders beschreiben: wir betrachten hier das Schnittverhalten eines Zylinders mit einer Ebene E. Die Ebene, von der hier die Rede ist, ist die Ursprungs-Ebene durch die Gerade g, auf ihr liegen die Sichtstrahlen zu den Punkten P der Gerade. Nun weiß man aber, dass eine derartige Ebene den Zylinder im Allgemeinen in einer Ellipse schneidet

Abbildung 5

Man kann sich die entstehenden Sinuskurven leicht ansehen, wenn man den Pappkern einer Toilettenpapier-Rolle schräg zersägt, den Mantel aufschneidet und die Säge-Kante betrachtet. Eine Wurstpelle, gekonnt abgezogen, tut’s auch.


Abbildung 6

Betont werden sollte, dass die so entstandenen Ellipsen den uv-Einheitskreis in diametral gegenüberliegenden Punkten schneiden, dass wir also im Panorama-Bild immer Sinus-Funktionen erhalten, deren Wendepunkte im Abstand π auf der x-Achse liegen (falls wir mit einem Zylinder mit Radius 1 arbeiten): Da die Ebene E durch den Ursprung geht, schneidet sie die uv-Ebene in einer Ursprungsgeraden, eine Ursprungsgerade schneidet aber den Einheitskreis in diametral entgegengesetzten Punkten. Es gibt einen Ausnahme-Fall: steht die Ebene senkrecht auf der uv-Ebene, so erhält man als Schnitt mit dem Zylinder zwei gegenüberliegende Mantellinien.

1.4. Zusammenfassung: Die Sinusbögen der Panoramabilder.

Wir fassen zusammen: Ausgangspunkt ist wieder das uvw-Koordinatensystem mit dem Zylinder über dem Einheitskreis der uv-Ebene, projiziert werde vom Ursprung Z aus auf diesen Zylinder (Z ist also das wahrnehmende Auge). Das Abrollen des Zylinders liefert unser Panorama-Bild mit einem xy-Koordinatensystem, die x-Achse ist dabei die Horizontlinie (also die Augenhöhe). Ist nun g eine Gerade im Raum, die parallel zur uv-Ebene verläuft und die die w-Achse nicht schneidet, so liefert g unter unserer Projektion einen Sinus-Bogen. Die Sinus-Funktionen, die man auf diese Weise erhält, haben alle die gleiche Frequenz, nämlich, 1/(2π); dagegen sind Amplitude und Phase beliebig: die Funktionen haben die Form
f(x) = λsin(x-x0)
(mit Amplitude λ und Phasenverschiebung x0). Die Gerade g liefert nur einen Ausschnitt des Graphen der Sinusfunktion, vom Wendepunkt x0 zum nächsten Wendepunkt x0+π, eben einen Sinus-Bogen, dabei sind die Endpunkte des Sinusbogens die Fluchtpunkte der Geraden (also die gedachten Schnittpunkte der Geraden g mit der Horizontlinie). Ein Spezialfall ist zu erwähnen: liegt die Gerade g in Augenhöhe (also in der uv-Ebene), so ist λ = 0, der Sinusbogen artet zu einer Strecke der Länge π auf der x-Achse aus. Ansonsten wird man unterscheiden, ob die Amplitude λ positiv oder negativ ist. Ist λ positiv (der Sinus-Bogen also konkav), so handelt es sich um eine Gerade oberhalb der Augenhöhe, negatives λ verweist darauf, wie stark man den Kopf heben oder senken muss, um die Gerade g zu sehen. Insgesamt sieht man, dass parallele Geraden g zu Sinusfunktionen führen, die sich höchstens in der Amplitude unterscheiden: sie haben ja die gleichen Fluchtpunkte. Eine Änderung der Geradenrichtung führt zu einer Phasenverschiebung: verschoben werden dabei die Fluchtpunkte, insbesondere ändert sich also x0.

2. Geraden im Raum: eine Systematisierung der Möglichkeiten.

2.1. Zentralprojektion von Geraden auf den Zylinder.

Wir wollen nun überblicksartig angeben, welche Möglichkeiten es gibt, eine beliebige Gerade g des R3 auf den Zylinder zu projizieren; der Zylinder habe den Radius 1.

Zuerst notieren wir, was passiert, wenn g eine Ursprungsgerade ist:

1
Ist g die w-Achse, so erhält man keinen einzigen Projektionspunkt.
2
Ist g eine Ursprungsgerade, aber nicht die w-Achse, so erhält man zwei Punkte.

Es sei betont, dass sich die x-Koordinaten der beiden Punkte um π unterschieden, und dass die y-Koordinate des einen Punkts das Negative der y-Koordinate des anderen Punkts ist. Derartige Punktepaare spielen eine wichtige Rolle, wir nennen solche Punkte ein entgegengesetztes Punktepaar.

Nun wenden wir uns den Geraden zu, die nicht durch den Ursprung gehen: Von besonderem Interesse sind für uns horizontale und vertikale Geraden, also Geraden, die parallel zur w-Achse, oder parallel zur uv-Ebene sind. Wir bezeichnen mit E die (eindeutig bestimmte) Ursprungsebene, die g enthält. Dabei skizzieren wir jeweils rechts im Panorama-Bild das Bild einer typischen derartigen Geraden g unter der Zentralprojektion (gestrichelt ist die x-Achse eingezeichnet, dies ist gerade die Horizontlinie).

3
Ist g parallel zur w-Achse, aber verschieden von ihr, so erhält man eine Mantellinie des Zylinders, also eine senkrechte Gerade im Panorama-Bild.
4
Schneidet g die w-Achse in einem Punkt, aber nicht im Ursprung, und ist sie parallel zur uv-Ebene, so erhält man zwei gegenüberliegende halbe Mantellinien (dabei ist zu unterscheiden, ob g oberhalb oder unterhalb der uv-Ebene liegt).

5
Ist g eine Gerade in der uv-Ebene, die nicht durch den Ursprung geht, so ist der Schnitt von E mit dem Zylinder ein Kreis, im Panorama-Bild ist dieser Schnitt die Horizontlinie. Als Projektionspunkte der Geraden g erhält man auf dem Zylinder einen Halbkreis, also im Panorama-Bild einen Abschnitt der x-Achse der Länge π.
6
Ist die Gerade g parallel zur uv-Ebene und schneidet sie nicht die w-Achse, so schneidet E den Zylinder in einer echten Ellipse, im Panorama-Bild ist dieser Schnitt eine Sinuskurve. Als Projektionspunkte der Geraden g erhält man auf dem Zylinder eine halbe Ellipse, mit Randpunkten auf dem Einheitskreis. Im Panorama-Bild liefert g einen Sinus-Bogen. (Auch hier gibt es wieder zwei verschiedene Möglichkeiten, je nach dem, ob g oberhalb oder unterhalb der uv-Ebene liegt).

Schließlich notieren wir, was mit einer Geraden g passiert, die weder parallel zur w-Achse, noch parallel zur uv-Ebene ist:

7
Schneidet g die w-Achse in einem Punkt, aber nicht im Ursprung, und ist sie nicht parallel zur uv-Ebene, so erhält man zwei gegenüberliegende partielle Mantellinien, die sich von oben oder unten einem entgegengesetzten Punktepaar nähern (dabei ist zu unterscheiden, ob der Schnittpunkt von g mit der w-Achse oberhalb oder unterhalb der uv-Ebene liegt).
8
Ist die Gerade g nicht parallel zur uv-Ebene und schneidet sie nicht die w-Achse, so schneidet E den Zylinder ebenfalls in einer echten Ellipse, im Panorama-Bild ist dieser Schnitt eine Sinuskurve. Als Projektionspunkte der Geraden g erhält man auf dem Zylinder eine halbe Ellipse. Die Randpunkte liegen nicht mehr auf dem Einheitskreis. Im Panorama-Bild liefert g einen Ausschnitt der Sinus-Kurve über einem Intervall der Länge π. Die Randpunkte sind ein entgegengesetztes Punktepaar.

2.2. Die Geraden und ihre Fluchtpunkte.

Die wichtigsten Fälle, die man immer vor Augen haben sollte, sind die Fälle 6 und 3 – die der typischen horizontalen und vertikalen Geraden (
Anm.1) Wir werden im nächsten Abschnitt noch genauer auf die horizontalen Geraden eingehen und die Bedeutung der jeweiligen Fluchtpunkte (Anm.2) herausarbeiten: Alle diese Fluchtpunkte liegen auf der Horizontlinie, und zwar liegen die beiden Fluchtpunkte im Abstand π. Und umgekehrt können natürlich alle Punkte der Horizontlinie als Fluchtpunkte möglicher horizontaler Geraden auftreten.

Insgesamt sollten wir festhalten, dass fast alle Geraden im Raum Abschnitte von Sinus-Kurven liefern, und zwar Abschnitte über einem Intervall der Länge π (Ausnahmen bilden nur die Geraden in der uv-Ebene, die dazu senkrechten, und die Geraden, die die w-Achse schneiden).

Unsere ersten Überlegungen beschränkten sich auf Geraden, die parallel zur uv-Ebene sind: sie liefern Sinus-Bögen von Wendepunkt zu Wendepunkt, andere Geraden liefern ebenfalls Ausschnitte von Sinuskurven, hier liegen die Fluchtpunkte aber nicht auf der Horizontlinie. Wie bestimmt man diese Fluchtpunkte? Zur Geraden g gibt es eine parallele Ursprungsgerade g’. Da g nicht vertikal ist, ist auch g’ nicht vertikal. Die Ursprungsgerade g’ schneidet den Zylinder in zwei entgegengesetzten Punkten (in der Liste ist dies der Fall 2), dies liefert die Fluchtpunkte der Geraden g.

Es wäre schön, einen derartigen Ausschnitt einer Sinuskurve auf einem echten Panorama-Foto zu identifizieren! Vielleicht wird ja einmal der Kasseler Himmelsstürmer auf einem Panorama-Foto verewigt!

 
Abbildung 7

Für den Fall 4 sei hier noch ein Beispielbild vorgestellt:


Abbildung 8

2.3. Das Justieren der Kamera.

Auch Folgendes ist von Interesse: Ist die Kamera nicht genau justiert, ist also die Zylinder-Achse nicht genau in Richtung des Erdmittelpunktes ausgerichtet, so erhält man als Horizont eine Sinuskurve (und diesmal nicht nur einen Sinus-Bogen, sondern eine vollständige Periode). Der Beweis ist ganz einfach und nur eine Wiederholung: auch hier handelt es sich wieder um den Schnitt eines Zylinders mit einer Ebene.

3. Konstruktiver Zugang und Anwendungen.

3.1. Rechtecksmuster in der uv-Ebene.

Sind Geraden in der uv-Ebene (oder parallel dazu) gegeben, die sich orthogonal scheiden, so erhält man Fluchtpunkte im Abstand von π/2. Ein derartiges Beispiel liefert das folgende Bild des Berliner Gendarmenmarkts mit seiner rechtwinkligen Pflasterung. Dagegen gehören die linken und die rechten Sinus-Bögen, die sich nur in den Fluchtpunkten berühren, zu parallelen Geraden, zwischen denen die Kamera steht.


Abbildung 9 a

Und wieder zur Verdeutlichung einige hervorgehobene Sinus-Kurven:


Abbildung 9 b

3.2. Ein Zimmer – konstruiert.

Als zweites Beispiel wollten wir hier die Panorama-Aufnahme eines Innenraums mit rechteckigem Grundriss zeigen und analysieren, um noch einmal die grundsätzliche Bedeutung der einzelnen Linien herauszuarbeiten. Wir suchten nach einer Innenaufnahme eines ganz simplen Raums, der nicht vollgestopft und überladen mit allen möglichen Details ist, fanden aber keines, das uns gefiel. Daher haben wir uns darangesetzt, eine derartige Abbildung selbst zu konstruieren. Gezeigt werden soll auf unserem Bild also die Innenansicht eines beliebigen Quaders. Beginnen wir mit folgendem Grundriss, also einem Rechteck mit den Ecken A,B,C,D

Abbildung 10a

Dabei bezeichnet K die Stelle, über der die Kamera stehen soll. Wir erhalten als Bild der Fußbodenkanten vier Ausschnitte aus Sinus-Bögen


Abbildung 10b

Wir haben in der Grundriss-Zeichnung die Richtungen eingetragen, in denen die Fluchtpunkte F1 … F4 liegen. Auf unserem Panorama-Foto sind die entsprechenden Fluchtpunkte markiert (es sind Punkte im Abstand π/2). Sobald die Lage dieser Fluchtpunkte fixiert ist, kennen wir die Lage der Sinus-Bögen, nicht aber die jeweiligen Amplituden: sie sind abhängig vom Abstand der Wände von der Kamera (und grundsätzlich beliebig!). In unserem Beispiel gehen wir davon aus, dass die Kamera den gleichen Abstand von den Wänden BC und DA hat, also sind die entsprechenden Amplituden gleich – dagegen ist die Kamera sehr nah an der Wand CD, die entsprechende Amplitude ist daher viel größer.

Nun geben wir noch die Höhe vor, zum Beispiel also das Bild A' der Zimmer-Ecke über dem Punkt A.


Abbildung 10c

Wir haben schon eingezeichnet, auf welchen Sinus-Bögen die zugehörigen Decken-Kanten liegen müssen. Dies liefert uns die Punkte B' und D' (als Schnittpunkte der Sinus-Bögen mit den vertikalen Geraden durch B bzw. D). Entsprechend erhalten wir nun die Sinus-Bögen für die beiden restlichen Decken-Kanten und diese schneiden sich in einem Punkt C', der vertikal über C liegt.


Abbildung 10d

Natürlich ist dieses konstruierte „Foto“


Abbildung 10e

nicht sehr realistisch, hat unser Raum doch nicht einmal eine Tür oder ein Fenster, durch die wir ihn hätten betreten können! Hier also eine kleine Vervollständigung (alle Hilfslinien bis auf die Horizontlinie sind gelöscht), und zum Vergleich auch eine Außenansicht in Parallelprojektion.




Abbildung 10f

3.3. Arc de Triomphe.

Das Konstruieren derartiger Panorama-Bilder ist nicht viel schwerer als das von Bildern mit Zentralperspektive. Dafür eignen sich hervorragend Programme wie GeoGebra, mit denen man Funktionen plotten kann. Nimmt man F3 als Ursprung, und F1 im Abstand π, so arbeitet man mit Funktionen der Form a.sin(x) und a.cos(x), das ist schon alles. Dies mag eine Anregung sein für ein gemeinsames Projekt mit dem Kunstunterricht: Wie sieht ein Panorama-Bild des Klassenzimmers, der Aula, oder einer nahegelegenen Straßenkreuzung aus? Kommen weitere Geradenrichtungen hinzu (wie zum Beispiel bei einer abgeschrägten Ecke oder einem oktogonalen Grundriss), so braucht man zusätzliche Sinusfunktionen (der Form a.sin(x+c)). Richtig aufregend wird es, wenn man an den Rundblick vom Arc de Triomphe in Paris denkt: 12 Straßen laufen hier zusammen!


Abbildung 11a

Zur Verdeutlichung zeigen wir zwei Ausschnitte, die sich leicht überlappen:


Abbildung 11b

4. Rundblicke in der Geschichte.

4.1. Zylinder-Projektionen.

Zylinder-Projektionen wurden seit Urzeiten betrachtet, meist allerdings in einem etwas anderen Zusammenhang, nämlich in der Geografie: als Kartenprojektion. Entsprechende Abbildungen und Beschreibungen finden sich zuhauf. Hier wird eine Kugel (die Erde) auf einen Zylinder projiziert (damit man den abgerollten Zylinder als planare Karte verwenden kann), meist wird aber eine zusätzliche Stauchung der y-Achse vorgenommen. Typisches Beispiel ist die Mercator-Projektion (
Anm.3), mit der Erdachse als Zylinderachse (die Stauchung wird so gewählt, dass man eine winkeltreue Abbildung erhält; die Winkeltreue war für die Seefahrer sehr wichtig).

Betrachtet man einen Großkreis auf der Kugel, wie die Ekliptik oder die Schattengrenze des Sonnenlichts, so liefert die Zentralprojektion auf den Zylinder eine Ellipse, also auf dem abgerollten Zylinder eine Sinuskurve (denn Großkreise sind Schnitte der Kugel mit Ebenen durch den Ursprung, also den Erdmittelpunkt). Das folgende Bild zeigt eine derartige Schattengrenze auf einer Mercator-Karte - dabei ist der Stauchungseffekt in der Nähe der Pole nicht zu übersehen.


Abbildung 12

4.2. Rundbauten.

Als nächstes sind die Panoramen zu erwähnen, die seit dem Ende des 18.Jahrhunderts für viele Jahrzehnte als große Publikumsmagnete galten: Rundbauten, also Zylinder, die einen vollständigen Rundblick einer Landschaft oder eines historischen Ereignisses (oft waren es Schlachten) lieferten. Hier eine Abbildung des ersten 360o-Panoramas der Welt: London from the roof of Albion Mills (1793).

Abbildung 13

Die Idee geht auf Johann Adam Breysig und Robert Barker zurück. Barker ließ 1787 seine Erfindung patentieren. Zwei derartige Rundbauten sind z.B. das alte Gebäude des Salzburg-Panoramas und ein Neubau in Bad Frankenhausen:

 
Abbildungen 14 und 15

Die meisten dieser Gebäude wurden Anfang des 20.Jahrhunderts abgerissen, aber es entstanden auch neue, wie das in Bad Frankenhausen mit dem berühmten Bauernkriegs-Panorama des Malers Werner Tübke.

Gut erhalten ist das Salzburg-Panorama von Johann Michael Sattler, das in den Jahren 1825 - 1829 entstanden ist. Es wurde zuerst in Salzburg selbst, danach in vielen europäischen Städten gezeigt. In den Jahren 1875 - 1937 war es wieder in Salzburg zu besichtigen, in einem eigenen Pavillon, dann verschwand für eine Weile das Interesse. Erst 1977 wurde das Panorama wieder gezeigt, 2005 wurde es vollständig renoviert. Es handelt sich um einen Rundblick von der Festung Hohensalzburg aus (die zur Entstehungszeit militärisch genutzt wurde, und damit auch den Salzburgern selbst nicht zugänglich war).


Abbildung 16

Erhaltene Entwürfe von Sattler zeigen, dass er mit einem Gitterraster gearbeitet hat:


Abbildung 17

Sucht man nach den charakteristischen Sinus-Bögen, so wird man enttäuscht: zum Beispiel verlaufen die einzigen Landstraßen, die dafür in frage kämen, ziemlich in Augenhöhe. Nun gibt es aber eine Reihe von Gebäuden, bei denen Sinus-Bögen zu sehen sein müssten - aber Sattler hat offensichtlich jedes einzelne Gebäude zentralperspektivisch gezeichnet. Dies führt dazu, dass im Panorama-Museum bei einigen der dargestellten Gebäude geradlinige Dachkanten und Friese leicht gebogen erscheinen: der Effekt ist um so stärker, je tiefer die Gebäude unter der Horizont-Linie erscheinen. Hier ein Foto, das im Panorama-Museum aufgenommen wurde (der untere Bogen ist die Unterkante des Zylinder-Bildes):


Abbildung 18

Wir betrachten das helle Gebäude näher (es ist übrigens dasjenige, das heute das Panorama-Museum beherbergt): links ein Ausschnitt aus dem (planen) Panorama-Bild, das Photos rechts gibt noch einmal den Blick im Panorama-Museum wieder, diesmal mit eingezeichneten Hilfslinien, die zeigen, wie extrem die Abweichungen sind:


Abbildung 19
 

Abbildung 20

Dass die Dachkante wie auch die Friese an den Häusern beim Blick im Panorama-Museum konkav erscheinen, kann nicht verwundern: Dargestellt sind Geraden unterhalb der Horizont-Linie, die also eigentlich als konvexe Sinus-Bögen im Panorama-Bild zu zeichnen gewesen wären.

Zur Verdeutlichung sei hier wieder eine kleine Skizze eingefügt. Nehmen wir an, der graue Bereich links sei die Vorderfront eines Hauses, gezeichnet in Panorama-Perspektive (Ober- und Unterkante müssen, wie wir wissen, auf Sinus-Bögen mit gleichen Fluchtpunkten E und F liegen). Unser Haus liege unterhalb der Augenlinien, also sind beide Sinusbögen konkav. Für den Betrachter im Inneren des Zylinders wird auf diese Weise der Eindruck erzeugt, dass die Punkte A und B geradlinig verbunden sind!


Abbildung 21

Wird nun auf dem Panorama-Bild der Bogen zwischen A und B durch eine Strecke ersetzt, wie dies rechts geschehen ist (und wie man dies bei Sattler findet), so verläuft diese Strecke oberhalb des Sinus-Bogens und erzeugt somit für den Betrachter im Zylinder einen konvexen Bogen!

Wir haben oben schon erwähnt, dass das Gebäude auch heute noch existiert, hier zum Vergleich eine Abbildung:


Abbildung 22

4.3. Panoramabilder in der Fotografie.

Das Jahr 1829 wird üblicherweise als Beginn des Zeitalters der Fotografie angesehen. Nach früheren Versuchen von Niépce entwickelte Daguerre ein Verfahren, um fotografische Abbildungen zu konservieren. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann man damit, Fotografien zu Panoramen aneinanderzureihen (so wie wir es beim Rundblick vom Arc de Triomphe gesehen haben). Mit Hilfe geeigneter Software („stitching“) können heute derartige Einzelbilder zu einem Panorama nahtlos zusammengesetzt werden. Schon früh (Joseph Puchberger 1843, Friedrich von Mertens 1844) wurden aber auch spezielle Kameras für Panorama-Fotografien entwickelt (meist mit senkrechtem, schwenkbaren Schlitzverschluss oder mit einem sich drehenden Kameragehäuse).

Als Beispiel einer historischen Aufnahme ein (knapp) 180o-Bild von San Francisco nach dem Erdbeben von 1906, die Sinus-Bögen sind unübersehbar:


Abbildung 23

4.4. Ein weiteres Beispiel.

Auch außerhalb des westlichen Kulturkreises war man sich wohl der Möglichkeiten der Panorama-Perspektive bewusst, wie der folgende Ausschnitt aus einer chinesischen Bildrolle zeigt:


Abbildung 24

4.5. Griechische Tempel.

Schließlich soll noch auf optische Effekte eingegangen werden, die beim Bau der griechischen Tempel Verwendung fanden.


Abbildung 25

Bekanntlich weisen die klassischen griechischen Tempel ganz charakteristische Krümmungen auf. Horizontal betrifft dies den Architrav, also das Gesims über den Säulen, manchmal aber auch schon das Fundament, den Stylobat. Diese Linien sind dann konkav gekrümmt, man spricht von Kurvatur. Vertikale Krümmungen treten bei den einzelnen Säulen auf: sie verjüngen sich nach oben hin, dies erfolgt jedoch nicht gradlinig, sondern mit einer Wölbung, sodass auf etwa einem Drittel der Höhe der größte Umfang (Entasis) erreicht wird. In der Literatur wird darauf verwiesen, dass durch derartige Krümmungen die geometrische Starrheit der Linien aufgebrochen werde und dass so der Bau harmonischer und lebendiger erscheine. Spätere Nachahmungen, bei den Römern wie auch im Klassizismus, die auf diese Krümmungen verzichteten, erscheinen dem Betrachter dagegen statisch und starr. Offensichtlich wird aber durch diese optischen Effekte auch der Eindruck der Monumentalität vergrößert. Die Ansicht entspricht derjenigen, die das wandernde Auge bei einem viel größeren Gebäude erzeugen würde. Eine mathematische Beschreibung der Krümmungen ist sicher von Interesse und wird seit langem diskutiert.

Kurvatur. Im Buch von Schneider-Höcker liest man zur Kurvatur,


Abbildung 26

die ganze Architektur sei "sphärisch gekrümmt": "Nicht auf einer ebenen Plattform erhebt sie sich, sondern gewissermaßen auf dem Ausschnitt einer riesigen Kugel", dazu werden folgende Illustrationen geboten (Links: „Stufenbau des Parthenon mit Kurvatur. Nordseite, von Osten gesehen“. Rechts: „Kurvator des Parthenon, schematisch verstärkt“.)

 
Abbildungen 27 und 28

Unsere Überlegungen legen dagegen nahe, dass es sich um (Ausschnitte von) Sinuskurven handelt sollte (und die Höhenlage derartiger Tempel erklärt, warum schon das Fundament konvex gekrümmt gebaut wurde). Diese Sinuskurven imitieren also diejenigen der Panorama-Fotografie, die durch die Drehung des Kopfes hervorgerufen werden.


Abbildung 29

Das folgende Diagramm zeigt die Kurvatur des Nord-Stylobats des Parthenon (mit 400-facher Maßstabs-Verzerrung);


Abbildung 30 a

hier die gleichen Daten, allerdings nur mit 200-facher Verzerrung, mit einer entsprechender Sinus-Kurve. Man findet auch Ellipsen und Parabeln, die als Approximationen (Anm.4) in frage kämen (dazu gibt es eine Vielzahl von Publikationen) – nur scheint es keine einleuchtende Begründung für die Wahl derartigen Kurven zu geben.


Abbildung 30 b

Entasis. Entsprechend zu interpretieren ist die Krümmung des Schafts einer Säule, hier allerdings wird die Augenbewegung beim Heben und Senken des Kopfes nachvollzogen (Anm.5), das uns vertraute Bild der Sinuskurven ist um 90 Grad zu drehen. Während die Kurvatur oft kaum bemerkbar ist, sind die Krümmungen vieler Säulen sehr auffallend (beim Hera-Tempel in Paestum verjüngen sich die Säulen von unten 2,09m auf 1,55m oben). Links zwei Säulen in Paestum, rechts daneben eine schematische Konstruktions-Skizze für den Umriss einer derartigen Säule mit Hilfe zweier Sinuskurven (mit gleicher Frequenz und Phase, aber entgegengesetzter Amplitude):


Abbildung 31
 

Abbildung 32

5. Variation des Modellierungsansatzes.

5.1. Beispiele

Andere mathematische Modellierungen der Kurven des Panorama-Bilds von Riem, wie auch des Panorama-Bilds des Gendarmenmarkts sind natürlich möglich: als Parabeln, als Hyperbel-Äste, als Ellipsen – und man erreicht dies lokal auch mit recht hoher Genauigkeit.

Ellipse: 5.43x2 - 0.29xy + 1y2 - 106.6x - 200y = 0


Parabel: f(x) = 0.0285 x (x - 19.5)


Hyperbel: 4.86x2 - 0.04xy - 6.77y2 - 95.36x - 200y = 0

Abbildung 33

Die Hyperbel und die Ellipse ließen sich leicht mit GeoGebra erzeugen: Man zeichnet den zu fünf Punkten gehörenden Kegelschnitt und passt die Kurve an, indem man die Punkte möglichst genau auf die gewünschte Linie zieht; hier wurden die Fluchtpunkte mit einbezogen und dann nicht mehr verändert, nur die drei anderen Punkte wurden noch zurecht geschoben. Die Parabel dagegen ließ sich auf diese Weise nicht finden, hier war das Fingerspitzengefühl nicht an die nötige Geduld gekoppelt. Es war leichter, einen Funktionsterm anzupassen.

Die Parabel-Approximation ist zwar nicht ganz optimal, aber die Abweichungen fallen nicht wirklich auf. Betont werden sollte, dass eine derartige Parabel-Approximation sofort auch Ellipsen- und Hyperbel-Approximationen liefert - ganz kleine Störungen einer Parabel-Gleichung führen zu Ellipsen- wie auch Hyperbel-Gleichungen.

Unsere Ausgangsfrage, eine mathematische Beschreibung der charakteristischen Kurven eines Panorama-Fotos (der Bilder von Geraden) zu finden, lässt sich durch optische Modellierungsversuche nicht lösen. Nur die theoretischen Überlegungen, die wir gleich zu Beginn vorgestellt haben, liefern die eindeutige Antwort, dass es sich um Sinus-Bögen handelt.

Es gibt aber durchaus heuristische Argumente dafür, dass die Wahl von Sinus-Bögen eigentlich naheliegend ist. Erstens: wegen der zugrunde liegenden Drehung sollte man von Anfang an trigonometrische Funktionen denken! Und zweitens: Auch aus einem anderen Grund sind die Sinus-Bögen den Parabeln, den Ellipsen und den Hyperbel-Ästen überlegen: die Kurven, die wir approximieren wollen, haben endliche Länge, sie enden in den beiden Fluchtpunkten. Bei den Sinus-Bögen sind diese Endpunkte die Wendepunkte der Kurve, also wohl-bestimmte Punkte auf dem Funktionsgraphen. Weder die Parabeln, noch die Ellipsen oder die Hyperbel-Äste besitzen jedoch derartig ausgezeichnete Punkte.

5.2. Kurvenvergleich


[fehlt noch]


Schlussbemerkungen

6.1. Panoramaeindrücke vs. Zentralperspektive.

Panorama-Bilder liefern überraschende Eindrücke. Sie erscheinen auf den ersten Blick völlig unnatürlich. Offensichtlich entsprechen sie nicht dem üblichen Bilderkanon, an die sich jeder gewöhnt hat. Es ist die Zentralperspektive (also die Zentralprojektion auf eine Ebene), die man als natürliche Sichtweise verinnerlicht hat, obwohl solche Bilder nur den starren Blick festhalten, und das Wandern der Augen, das Drehen des Kopfes, erst recht aber das Drehen des ganzen Körpers außer acht lassen. Durch die Bilderflut, der man täglich ausgesetzt ist und die fast ausschließlich zentralperspektivisch angelegt ist, wird unbewusst unsere Vorstellungswelt eingeengt. Immerhin zeigt die Kunstgeschichte, wie lange es gedauert hat, bis sich die Zentralperspektive in der Malerei überhaupt durchgesetzt hat. Warum auch sollte die Zentralprojektion auf eine Ebene (und nicht auf einen Zylinder oder eine Kugel ) die selbstverständliche Modellierung des Sehens sein? Leicht übersieht man, dass mit Hilfe der Zentralperspektive nur Ausschnitte der Umgebung des Betrachters darstellbar sind. Lokal liefert unser Sehen Bilder, die den Regeln der Zentralperspektive entsprechen, der globale Eindruck aber ist ein anderer. Auch die Panorama-Bilder folgen in kleinen Ausschnitten ziemlich genau den Regeln der Zentralperspektive, nur gehen sie darüber hinaus.

Mit etwas Übung stellt man zur eigenen Überraschung fest, dass sich all die geraden Linien, die man zu sehen meint, wenn man durch eine Straße geht, oder vor seinem Schreibtisch hockt, spätestens beim Drehen des Kopfes als gar nicht gradlinig erweisen, sondern als Bögen! Noch deutlicher wird man dieser Bögen gewahr, wenn man sich auf einen Drehstuhl setzt und dann langsam oder auch immer schneller im Kreis dreht: dabei wird ja gerade das ganze Panoramabild abgerollt.

Von Interesse scheint auch folgender Satz zu sein, der sich bei Bollnow (Mensch und Raum, p.78) findet:

„Im erlebten Raum gibt es außer den Senkrechten, die nach den Regeln des Zeichenunterrichts immer senkrecht bleiben, nur noch waagrechte Parallelen.“ (Bollnow)
Und diese waagrechten Geraden sehen wir als Sinus-Bögen.

6.2. Zum Abschluss noch zwei Fotos.

 
Abbildungen 34 und 35

Links eine Innenansicht der Kathedrale von Winchester, auch hier sieht man Sinuskurven, aber in y-Richtung!
Rechts eine Herbst-Landschaft, bei der man erst beim zweiten Hinsehen die Sinus-Bögen erkennt.

Weitere schöne Panorama-Bilder findet man u.a. unter den folgenden Adressen im Internet:

Die DLR hatte ein Forschungsprojekt zu den Möglichkeiten der Panoramafotografie: Das Abrollen eines Panorama-Bilds kann man sehr gut in folgender Animation nachvollziehen: Will man Panorama-Fotos selbst im Rundblick ablaufen lassen, so ist hierfür der PTViewer hilfreich. Das Programm kann kostenlos im Internet heruntergeladen werden, z.B. unter den folgenden Adressen Will man eine Serie von Fotos selbst zu einem Panoramabild zusammensetzen, kann man dies z.B. mit Programmen der Firma Ulead bewerkstelligen Und man findet im Internet sogar eine Anleitung zum Selbstbau einer 150o-Panorama-Kamera

6.3. Panoramabilder in der Schule.

Für den Mathematik-Unterricht liefern Panorama-Bilder ein ausgesprochen breites Spektrum an Übungsmaterial zum Arbeiten mit Sinus-Funktionen. Im Frühjahr 2006 wurde am Helmholtz-Gymnasium in Bielefeld eine Unterrichtsreihe über Panoramafotos in einer 10. Klasse durchgeführt. Betrachtet wurde der überschaubare Fall von Geraden, die parallel zur Augenebene verlaufen. Die Erfahrungen, die dabei gemacht wurden, sind in einem eigenen Artikel festgehalten [Menze/Ringel].

Anmerkungen

  1. Horizontale und vertikale Geraden sind es, an denen man sich im täglichen Leben vor allem orientiert. Verwiesen sei schon hier auf ein Zitat von Bollnow am Ende der Arbeit
  2. Leser, die mit der reellen projektiven Ebene vertraut sind, werden hier sofort Vergleiche ziehen wollen: Betrachten wir z.B. die zur uv-Ebene parallele Ebene E mit w = -1. Unter unserer Projektion erhalten wir als Bildpunkte alle Punkte mit y < 0. Dabei hat allerdings der Ursprung von E keinen Bildpunkt – unsere Projektionsabbildung ist nur auf der gelochten Ebene definiert. Die Hinzunahme der Horizontlinie entspricht einer partiellen Kompaktifizierung, ganz ähnlich zur Hinzunahme der „uneigentlichen“ Geraden in der projektiven Geometrie. Während aber die Punkte dieser „uneigentlichen“ (oder „unendlich fernen“) Geraden den Geradenrichtungen in der Ebene E entsprechen, liefert die Zentralprojektion auf den Zylinder für jede Geradenrichtung in E zwei Fluchtpunkte, und nicht nur einen. Die Horizontlinie kann als eine zweifache Überlagerung der „uneigentlichen“ Geraden interpretiert werden.
  3. Wolfgang Kroll wies uns darauf hin, dass man die Mercator-Projektion lieber Mercator-Abbildung nennen sollte, da es sich eben nicht um eine echte Projektion handelt.
  4. Die Frage der optischen Ähnlichkeit von Sinusbögen und Parabelbögen wird in den Abschnitteb 5.1 und 5.2 diskutiert.
  5. Verwiesen sei hier auf das linke der beiden Bilder am Ende dieser Arbeit, das ein Panoroma-Foto zeigt, bei dem die Drehachse des Kamera-Schwenks ebenfalls nicht vertikal, sondern horizontal ist und so der Augenbewegung beim Heben und Senken des Kopfes entspricht. Anzumerken ist, dass es bei einigen griechischen Tempeln zu einer Kopplung der beiden Kopfbewegungs-Effekte (horizontal, vertikal) kommt: so werden randständige Säulen zusätzlich zur Mitte hin geneigt. Dies erinnert dann an die Fischaugen-Perspektive, also weniger an eine Projektion auf einen Zylinder sondern auf eine Kugel. Dennoch meinen wir, dass zumindest die einzelnen Krümmungen in erster Näherung sehr gut durch Sinus-Kurven beschrieben werden können. Diese Interpretation liefert auch eine Erklärung für die vielbeschworene Dynamik, die für einen massiven Steinbau als überraschend anzusehen ist: es ist die Dynamik der Kopfbewegungen, die durch die Verwendung von Sinus-Kurven simuliert wird.

Literatur

Quellen-Verzeichnis der Abbildungen

Alle anderen Zeichnungen und Bilder wurden von den Verfassern erstellt

Anschrift der Verfasser

Barbara Ringel
Dieselstraße 5 B
33613 Bielefeld
e-Mail: b_ringel@t-online.de

Claus Michael Ringel
Fakultät für Mathematik, Universität Bielefeld
33501 Bielefeld
e-Mail: ringel@math.uni-bielefeld.de