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Folgerungen für das Mathematikstudium

Jedem ist aus seiner Schulzeit die Situation der Hilflosigkeit vertraut, wenn in einer Klassenarbeit der Aufgabenzettel verteilt ist und man nicht weiss, wie man die bei der Vorbereitung auf die Arbeit eintrainierten mathematischen Verfahren auf die gegebenen Aufgaben anwenden soll, wenn man rät und hofft, richtig geraten zu haben: Man hat in seinem Unterricht kein Verfahren kennengelernt, das einem erlaubt zu entscheiden, welches Verfahren man in einer gegebenen Situation anwenden soll und wie dies zu geschehen hat. Möglichkeiten zu zielgerichtetem Handeln in einer solchen Situation erwachsen nämlich allein aus dem eigenen Denken, und für das Denken gibt es keine allgemeingültigen Verfahren.

Für das Mathematikstudium bedeutet dies, dass die Lehre sich nicht in erster Linie als eine Institution zur Vermittlung mathematischen Wissens begreifen darf. Sie muss den Studierenden vielmehr die Zeit und die Gelegenheit geben, in der Auseinandersetzung mit für sie geeigneten mathematischen Problemen Vertrauen in ihre Denkfähigkeit und Freude am Denken zu gewinnen, sie dadurch im Sehen mit ihrem geistigen Auge kompetenter zu machen. Das Führen eines mathematischen Tagebuches kann meiner Meinung nach hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten.

Christian Siebeneicher
Universität Bielefeld
Fakultät für Mathematik
Postfach 100131
33501 Bielefeld
e-mail:
sieben@mathematik.uni-bielefeld.de


Christian Siebeneicher
Thu Jun 12 10:40:12 MET DST 1997