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Elementargeometrie

Im Wintersemester 1996/97 habe ich zwei parallele Lehrveranstaltungen in Elementargeometrie für Studierende für das Lehramt in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I durchgeführt. Dabei ging es mir darum, durch geeignete Übungsaufgaben systematisch Situationen zu schaffen, in denen die Teilnehmer durch eigenes Handeln und Denken mathematisch-geometrische Einsichten gewinnen konnten. Sie sollten dadurch erfahren, dass ,,mathematisch-geometrisches Wissen`` in geradezu selbstverständlicher Weise aus Fragen entsteht, die sich beim genauen, auf Verstehen ausgerichteten Beobachten realer Gegenstände ergeben.

Allerdings verläuft der Prozess des auf eigenen Erfahrungen gegründeten Verstehens im Schneckentempo -- man muss sich viel Zeit lassen (können!). Ideen kommen nicht, wenn man sie ruft, es ist wie beim Angeln. Durch das Führen eines mathematischen Tagebuches sollte den Studierenden dieser Prozess bewusst werden. In dem Tagebuch sollte buchgeführt werden über die Auseinandersetzung mit (mathematischen) Problemen, es sollte die ersten und auch die weiteren Reaktionen zu den gerade vorkommenden mathematischen Erlebnissen enthalten, besonders die Lernschwierigkeiten (die jeder hat), aber auch die Einsichten, die auf diesem Boden wachsen. -- Wie soll man denn später die Mathematik lehren, wenn man nicht selbst erlebt hat, dass Kompetenz in Mathematik nicht aus Faktenwissen besteht, sondern allein aus der bewussten Auseinandersetzung mit (mathematischen) Problemen erwachsen kann?

Parallel zum Führen des mathematischen Tagebuches sollten die Studierenden in Aufsätzen ihre Lösungen der in den Übungen vorgegebenen Probleme in klarer und überzeugender Weise darstellen und dabei lernen, dass es bei der Kommunikation über Mathematik immer auch darauf ankommt, Wege zu finden, seinem Gesprächspartner einen (mathematischen) Sachverhalt verständlich zu machen: In einem solchen Kommunikationsprozess haben Beweise die Aufgabe, den Gesprächspartner zu überzeugen, und klarerweise ist es dafür nötig, dessen Gedankengänge in die eigene Argumentation mit einzubeziehen, sich auf seine Art zu denken einzulassen. Ein Beweis, der dies nicht berücksichtigt, ist ein leeres Ritual. Die Aufsätze sollten dazu beitragen, die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Fähigkeit, über Mathematik zu kommunizieren, offen und flexibel und damit kompetenter zu machen.


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Christian Siebeneicher
Thu Jun 12 10:40:12 MET DST 1997