Sphärische Komplexe, CW-Komplexe, Simplizial-Komplexe
Sphärische Komplexe
Unter einem sphärischen Komplex soll folgendes verstanden werden
(siehe Greenberg, § 19):
Er entsteht induktiv durch die Bildung des Abbildungskegels einer
stetigen Abbildung von Sn in einen schon konstruierten
sphärischen Komplex; dabei beginnt man mit einem endlichen diskreten Raum. Also: X0 sei die leere Menge
(nach Definition sei deren Dimension gleich -1).
Ist Xt-1 schon definiert,
so sei Xt die Menge der topologischen Räume Y, die
auf eine der beiden folgenden Weisen entstehen:
- Y ist die topologische Summe eines Raums in Xt-1 und eines
einelementigen Raums. In diesem Fall setze dim Y = max(0,dim X).
- Y entsteht aus einem Raum X in Xt-1 durch Anheften einer
n-Zelle. In diesem Fall setze
dim Y = max(n,dim X).
Die Räume, die zu einem der Xt gehören, heißen
sphärische Komplexe.
Warnung:
Ist X ein sphärischer Komplex der Dimension mindestens 1, so besitzt er viele
verschiedene derartige Darstellungen; wenn wir also von der "Anzahl der n-Zellen"
von X sprechen, so beziehen wir uns auf eine feste Darstellung.
Noch ein Hinweis: In der Literatur werden üblicherweise nur
sphärische Komplexe diskutiert, die eine weitere Bedingung
erfüllen: es wird zusätzlich verlangt,
dass beim Anheften nur Abbildungen von Sn-1 ins "(n-1)-Gerüst"
verwendet werden, dies sind die sogenannten "endlichen CW-Komplexe".
Aber das spielt für den Hauptsatz keine Rolle:
Hauptsatz. Sei Y ein sphärischer Komplex der Dimension n. Dann gilt:
- Hm(Y) = 0 für m > n (insbesondere sind nur endlich viele
Homologiegruppen von Null verschieden).
- Alle Homologiegruppen Hm sind endlich erzeugt.
- Die minimale Erzeugendenanzahl von Hm ist kleiner oder gleich der Anzahl der m-Zellen.
- Besitzt Y keine m-Zelle und a (m-1)-Zellen, so ist Hm(Y) = 0, und
Hm-1(Y) ist freie abelsche Gruppe vom Rang höchstens a.
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Man beachte, dass dies sofort die Homologie der Sphären Sn
mit n > 1 liefert: Sie besitzen eine Darstellung als sphärischer Komplex mit
genau einer 0-Zelle und genau einer n-Zelle. Und für n=1 sehen wir:
Ht(S1) = 0 für t > 1.
Da wir H1(S1) = Z schon berechnet haben,
kennen wir auf diese Weise alle Homologiegruppen der Sphären!
Hier noch einige Eigenschaften sphärischer Komplexe:
- Jeder sphärische Komplex ist kompakt.
(Denn ist X kompakt und wird an X eine Zelle
angeheftet, so ist der entstehende Raum Quotientenraum der topologischen
Summe von X und Bn, also kompakt.)
- Jeder sphärische Komplex ist in einen Rm
einbettbar, also insbesondere Hausdorffsch.
Sei X Unterraum von Rm, K entstehe aus
X durch Anheften einer n-Zelle. Wir konstruieren eine Einbettung
von K in den Rm+n+1 auf folgende Weise: Betrachte
X als eingebettet in Rm × 0n+1,
Bn als eingebettet in
0m × Rn × {1}, und
füge für jedes a in Sn-1
die Verbindungsstrecke von (0,...,0;a;1) mit (f(a);0,...,0;0)
hinzu.
- Ist X ein sphärischer Komplex und x in X, so
besitzt X-{x} nur endlich viele Zusammenhangskomponenten.
Beweis: Ebenfalls Induktion entlang des Anheftens
von Zellen.
Die Euler-Charakteristik
Sei Hn(X) eine endlich erzeugte Gruppe. In diesem Fall bezeichnen wir
mit βn(X) den Rang der n-ten Homologiegruppe von
X. (Es sei daran erinnert, dass jede endlich erzeugte abelsche Gruppe
A das Produkt einer endlichen Gruppe und einer Gruppe der Form
Zr ist;
die Zahl r ist eindeutig bestimmt und heißt Rang
der Gruppe A.)
Zur Motivation der Definition der Euler-Charakteristik:
Beim Anheften einer n-Zelle gilt:
- entweder vergrößert sich der Rang der n-ten Homologiegruppe um 1,
- oder es verkleinert sich der Rang der (n-1)-ten Homologiegruppe um 1.
Daraus folgt:
- Die Differenz der Ränge der n-ten Homologiegruppe und der (n-1)-ten
Homologiegruppe, also
βn - βn-1
vergrößert sich immer um 1.
Dies ist eine Aussage ohne Fall-Unterscheidung! Da man davon ausgehen kann,
dass man in vielen Situationen nur mit Mühe (oder vielleicht auch gar nicht) wissen wird,
welcher Fall vorliegt, ist die unterscheidungsfreie Information natürlich
von Interesse.
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Wir können auch sagen: (-1)nβn+
(-1)n-1βn-1 ändert sich um
(-1)n.
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Setze χ(X) = Σi (-1)nβn(X);
man nennt dies die Euler-Charakteristik von X.
Satz. Ist X ein sphärischer Komplex mit cn
n-Zellen (in einer fixierten Darstellung), so ist
Beweis:
Wir haben schon gesehen, wie sich beim Anheften einer n-Zelle die
Ränge von Hn und Hn-1 ändern.
Zusätzlich wissen wir: Alle anderen βi ändern sich nicht.
Wir können nun ohne Mühe alle Homologiegruppen der geschlossenen
Flächen angeben,
denn diese Flächen entstehen jeweils aus einer punktierten Summe
von Kreisen durch Anheften einer einzigen 2-Zelle. Es ist also
| c0 | c1 | c2 | χ
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| H0 | H1 | H2
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---|
F0 | 2 | 1 | 1 | 2
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| Z | 0 | Z
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Fg mit g>0 | 1 | 2g | 1 | 2-2g
| Z | Z2g | Z
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Ng mit g>0 | 1 | g | 1 | 2-g
| Z
| Zg-1⊕C2 | 0
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(Neu ist nur die letzte Spalte, sie ergibt sich aus den Überlegungen zur
Euler-Charakteristik, denn H1 wurde schon
früher berechnet.).
Hier sollte eine Bemerkung zu Euler stehen!
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Zellenzerlegung eines Raumes
Unter einer Zellenzerlegung eines Raums X versteht man eine Zerlegung von X
in paarweise disjunkte Unterräume Xi von X, deren
Vereinigung ganz X ist, so dass jedes Xi homöomorph zu einem
Rn ist (man nennt dann Xi eine n-Zelle).
Jeder sphärische Komplex besitzt offensichtlich eine endliche
Zellenzerlegung mit
folgender Eigenschaft: Es ist gegeben eine partielle Ordnung <
auf der Menge der Zellen mit:
- (Charakteristische Abbildung) Zu jeder n-Zelle e gibt es eine stetige
Abbildung Φe : Dn → X, welche das Innere von
Dn homöomorph auf die Zelle e abbildet und den Rand Sn-1
in die Vereinigung der Zellen e' mit e' < e.
CW-Komplexe
Unter einem CW-Komplex versteht man nun einen Raum mit einer Zellenzerlegung,
der eine verschärfte Form dieser Bedingung erfüllt (wegen der Vorgabe der
partiellen Ordnung), und zwei weitere
Bedingungen, die allerdings nur im Fall von unendlichen Zellenzerlegungen
von Bedeutung sind:
Als partielle Ordnung nimmt man e' < e falls e' eine n'-Zelle, e eine n-Zelle ist und
n' < n gilt.
- (Charakteristische Abbildung) Zu jeder n-Zelle e gibt es eine stetige
Abbildung Φe : Dn → X, welche das Innere von
Dn homöomorph auf die Zelle e abbildet und den Rand Sn-1
in die Vereinigung der Zellen e' mit e' < e.
- (Hüllenendlichkeit = "closure finiteness", daher der Buchstabe
C):
Der Abschluss einer Zelle ist in endlich vielen Zellen enthalten
(dies sind natürlich Zellen, deren Dimension echt kleiner ist).
- (Schwache Topologie = "weak topology", daher der Buchstabe W): Ist A
eine Teilmenge von X und ist der Durchschnitt von A mit dem Abschluss jeder Zelle abgeschlossen, so ist A abgeschlossen.
Es sei noch einmal betont:
Wenn wir endliche CW-Komplexe betrachten, so spielen die beiden
Bedingungen (C) und (W), die ja gerade für die Namensgebung verantwortlich
sind, gar keine Rolle!
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Lemma. Sei X ein CW-Komplex.
- Jeder Teilraum von X, der jede Zelle in höchstens einem Punkt
trifft, ist diskret. Daraus folgt:
- Jeder kompakte Unterraum eines CW-Komplexes trifft nur endlich viele
Zellen.
- Insbesondere liefert also das Anheften einer n-Zelle an das
(n-1)-Gerüst eines CW-Komplexes wieder einen CW-Komplex.
Beweis: Sei X ein CW-Komplex. Sei P ein Teilraum von X, der
jede Zelle in höchstens einem Punkt trifft.
Sei Q eine Teilmenge von P. Sei e eine Zelle. Der Abschluss a(e) von e besteht
aus endlich vielen Zellen (Bedingung C),
also trifft Q diesen Abschluss a(e) in nur endlich vielen
Punkten. Ein endlicher Unterraum eines Hausdorffraums ist abgeschlossen, also ist
der Durchschnitt von Q mit a(e) abgeschlossen, und wegen Bedingung (W) ist Q
abgeschlossen. Da jede Teilmenge von P abgeschlossen ist, ist P diskret.
Ist nun K ein kompakter Teilraum von X, so nehme man aus jeder n-Zelle e, die
K trifft, einen Punkt im Durchschnitt von e und K.
Wie wir gerade gesehen haben, ist dies ein diskreter Unterraum B.
Der Durchschnitt von B mit dem Abschluss a(e) einer Zelle ist eine endliche Menge,
also abgeschlossen, demnach ist B abgeschlossen, wieder wegen der Bedingung (W).
Also ist B kompakt.
Diskrete kompakte Räume sind aber endlich. Also trifft K nur endlich viele
Zellen.
Zelluläre Homologie
Als Erstes ist zu notieren, was wir über das Anheften von n-Zellen wissen; in
unserem Spezialfall haben wir:
Ist X ein CW-Komplex, so entsteht Xn aus
Xn-1 durch Anheften von n-Zellen; sei jeweils Sn
die Menge der n-Zellen.
Sei X ein CW-Komplex, so gilt:
Hm(Xn,Xn-1) =
| Z[Sn]
| falls m = n
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0 | sonst
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Satz.
Sei X ein CW-Komplex.
Es ist Hn(X)
kanonisch isomorph zur Homologie von
Hn+1(Xn+1,Xn)
| → | Hn(Xn,Xn-1)
| → | Hn-1(Xn-1,Xn-2)
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wobei die beiden Abbildungen jeweils durch die Randabbildung induziert sind.
Da Hm+1(Xm+1,Xm) =
Z[Sm], können wir die 3-Term-Folge
auch in folgender Form notieren:
Z[Sn+1]
| → | Z[Sn]
| → | Z[Sn-1]
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Interpretation: Die 3-Term-Folge
Z[Sn+1]
| → | Z[Sn]
| → | Z[Sn-1]
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hat als Homologie einen Subquotienten von Z[Sn] =
Hn(Xn,Xn-1). Also sehen wir: Zur n-ten
Homologie von X tragen nur die n-Zellen bei. Wieviel die n-Zellen aber
beitragen, hängt offensichtlich von den (n+1)-Zellen und den (n-1)-Zellen
(und den jeweiligen Anheftungen) ab,
- denn wir nehmen ja den Kern einer
Abbildung Z[Sn]
→ Z[Sn-1],
- und bilden die Restklassengruppe nach dem Bild einer Abbildung
Z[Sn+1] → Z[Sn].
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Beweis:
Im Rahmen der Diskussion der langen exakten Homologie-Folgen haben wir
gesehen, wie man die Berechnung von Homologie-Gruppen auf die Betrachtung von
Unterräumen einschränken kann.
Wir verwenden nun, dass Hm(Xn,Xn-1) = 0 gilt,
falls m ≠ n.
Anwendung der (U < V < W < X)-Formel
auf den Fall Xn-2 < Xn-1 < Xn < Xn+1 zeigt, dass Hn(Xn+1,Xn-2)
gerade durch die Homologie von
Hn+1(Xn+1,Xn)
| → | Hn(Xn,Xn-1)
| → | Hn-1(Xn-1,Xn-2)
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berechnet werden kann.
Die (X < Y < Z)-Formel und die (W < X < Y)-Formel zeigen induktiv, dass gilt:
Hn(Xt,Xs) =
Hn(Xn+1,Xn-2) falls t ≥ n+1 und
s ≤ n-2.
Dabei können wir auch s = -1 wählen. Dies zeigt, dass gilt:
Hn(Xt) =
Hn(Xn+1,Xn-2) für t groß.
Es bleibt nur noch anzumerken, dass jedes singuläre n-Simplex sein Bild
in einem t-Gerüst hat (weil das Bild kompakt ist); betrachten wir also
einen beliebigen n-Zykel in C•(X), so ist dies ein
n-Zykel in einem C•(Xt) (mit t groß) ...
Hier verwenden wir, dass Hn(X) gerade der "direkte Limes"
der Homologie-Gruppen Hn(Xt) ist.
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Simplizial-Komplexe
Ein
Simplizial-Komplex ist ein
CW-Komplex mit folgenden Eigenschaften: Alle Zellen sind Simplizes,
alle charakteristischen Abbildungen sind injektive affine Abbildungen.
Gegeben ist eine beliebige Menge (die Menge der "Ecken") und eine Menge X
endlicher Teilmengen dieser Ecken-Menge (diese Teilmengen heißen
"Simplizes"; genauer: eine Teilmenge S der Kardinalität n+1 heißt
n-Simplex), mit folgenden Eigenschaften:
- X ist abgeschlossen unter Untermengen.
- Alle einelementigen Teilmengen gehören zu X.
Die geometrische Realisierung |X| erfolgt induktiv, ausgehend von
der leeren Menge |X|-1:
Bezeichnen wir mit Xn die Menge der n-Simplizes in X, so
entsteht das n-Gerüst |X|n aus dem (n-1)-Gerüst
|X|n-1 durch Anheften von
n-Zellen (indiziert durch die Menge Xn); und zwar wie folgt:
Ist S in Xn, so ist sein Rand (also die echten Teilmengen von S)
schon realisiert; das Anheften von Δn erfolgt nun über den
vorgegebenen Rand.
Auf diese Weise erhält man
einen CW-Komplex |X| mit n-Gerüst |X|n.
Der Fall eines endlichen Simplizialkomplexes wurde schon
früher behandelt; im Fall eines unendlichen
Simplizialkomplexes ist zu betonen, dass man beim Anheften der Zellen
als Topologie die schwache Topologie nimmt, also
die Bedingung (W) eines CW-Komplexes.
Ein Simplizialkomplex ist nach Definition ein CW-Komplex, dessen
endliche Teilkomplexe simpliziale Komplexe sind.
Ein geordneter Simplizialkomplex hat zusätzlich eine Totalordnung
auf der Menge der Ecken.
Geordnete simpliziale Homologie
(Stichworte)
Man nimmt den Kettenkomplex aller Simplizes (d.h.: für jedes Simplex nimmt
man die eindeutig bestimmte ordnungerhaltende affine Abbildung).
Man zeigt: Dies ist ein Unterkomplex.
Satz: Dieser Unterkomplex ist ketten-äquivalent zum singulären
Kettenkomplex.