4. Konstruktion kompakter Flächen

Simplizialkomplexe

Polygon-Modelle

Allgemeiner Fall. Sei nun M ein regelmäßiges n-Eck -

Greifen wir ein Kantenpaar heraus, so können wir eine der beiden Identifizierungen vornehmen. Ist n gerade und verwenden wir hierbei jede Kante genau zweimal, so erhalten wir eine kompakte geschlossene Fläche F. Dies soll bedeuten: 

Unter einem Polygon-Modell einer geschlossenen Fläche verstehen wie ein regelmäßiges 2m-Eck mit einer Identifikationsvorschrift für Kantenpaare:  die Menge der Kanten ist in m Kantenpaare eingeteilt; für jedes derartige Kantenpaar ist angegeben, in welcher der beiden möglichen Weise diese Kanten zu identifizieren sind.

Lemma. Zu jeder endlich-triangulierbaren zusammenhängenden geschlossenen Fläche gibt es ein Polygonmodell.

Beweis:  Betrachte endliche Zerlegungen der Fläche, so dass die Komponenten Polygone sind (oder wenigstens topologisch äquivalent zu Polygonen). Zum Beispiel wird ja vorausgesetzt, dass es eine Zerlegung in endlich viele 2-Simplizes gibt. Nimm eine Zerlegung mit kleinstmöglicher Zahl von Komponenten. Ist diese Zahl größer als 1, so kann man zwei Komponenten zusammenkleben und erhält einen Widerspruch.

Notation für Polygon-Modelle

Um die Identifikationsvorschrift zu beschreiben, verwenden wir "Wörter" wie folgt: Ausgehend von einer festen Ecke durchlaufen wir die Kanten des Rands entgegen dem Uhrzeigersinn. Wir bezeichnen die ersten Kanten nacheinander mit a1, a2,... und notieren eine Art Produkt a1a2...at (eben ein "Wort" mit Buchstaben a1,...). Kommen wir allerdings zu einer Kante, die mit einer schon betrachteten Kante zu verheften ist, etwa mit ai, so schreiben wir als nächsten Buchstaben ai, falls die Identifizierung den Durchlaufsinn nicht ändert, oder ai-1, falls sie ihn ändert.

Frage:  Welche Wörter liefern homöomorphe Flächen? Welche nicht?


Satz 4 (Klassifikationssatz, Aussage 1). Jede endlich-triangulierbare zusammenhängende geschlossene Fläche ist topologisch äquivalent zu einer der folgenden Flächen: 
  • F0 - dies ist die Flächen-Realisierung des Worts aa-1.
  • Fg - dies ist die Flächen-Realisierung des Worts a1b1a1-1b1-1 ... agbgag-1bg-1 mit g > 0.
  • Ng - dies ist die Flächen-Realisierung des Worts a1a1a2a2....agag mit g > 0.

Die zweite Aussage von Satz 4 wird besagen, dass Flächen mit verschiedener Normalform nicht topologisch äquivalent sind. Dies wird erst später bewiesen.


Reduktionen


Mehr zu den Normalformen

Dass Flächen mit verschiedener Normalform nicht topologisch äquivalent sind, kann hier noch nicht bewiesen werden - dazu müssen wir geeignete Invarianten entwickeln ("Homotopiegruppen" oder "Homologiegruppen", also algebraische Objekte; oder zumindest Zahlen:  "Betti-Zahlen", "Euler-Charakteristik", ...).

g Name Euler-Charakteristik
Fg0 2-Sphäreorientierbar2
1 Torus 0
2 Brezel -2
....... ...
g... 2-2g
....... ...
Ng1 Projektive Ebenenicht orientierbar1
2 Klein'sche Flasche 0
... ... ...
g... 2-g
....... ...


Das Anheften von Henkeln und Kreuzhauben

Hier soll nun noch ein wenig die Anschauung geschult werden:  Wie stellt man sich die Normalformen vor? Im R3 sind nicht alle Normalformen realisierbar, höchstens mit Trick, nämlich mit "Selbstdurchdringungen", die man sich wegdenken muss.

Wir betrachten ein Wort der Form s1s1-1w1...stst-1wt, wobei wi entweder die Form aibiai -1bi-1 oder die Form cici hat.

Die zugehörige Fläche entsteht aus der 2-Sphäre auf folgende Weise: 

  1. Schneide t Löcher in die 2-Sphäre (mit disjunkten Rändern - deswegen haben wir die eigentlich überflüssigen Buchstaben s1s1-1 eingefügt)!
  2. Hefte Henkel an! Ist wi von der Form aibiai -1bi-1, so identifiziere den Rand des i-ten Lochs mit dem Rand eines gelochten Torus.
  3. Hefte Kreuzhauben an! Ist wi von der Form cici, so identifiziere den Rand des i-ten Lochs mit dem Rand eines Möbiusbands.

Und es gilt: 


Also: 

1. Löcher in die 2-Sphäre schneiden: 

Hier eine 2-Sphäre mit drei Löchern: 

2. Das Anheften eines Henkels: 

Wir betrachten also den Fall eines Teilworts der Form w = aba-1b-1. Wir schneiden vom Polygon das entsprechende Fünfeck ab (linkes Bild, dabei ist d die Schnittkante); wichtig ist, dass man sich merkt, dass die Punkte P und Q zu identifizieren sind. Rechts das abgeschnittene Fünfeck, wobei die Identifizierung der Punkte P und Q durchgeführt ist (die der a-Kanten und die der b-Kanten jedoch nicht) - man sieht, dass es sich nach Identifizierung der a-Kanten wie der b-Kanten wirklich um einen Torus mit Loch handelt.

Hier der Torus mit Loch (das nach unten gezogen wurde): 

Als Beispiel eine 2-Sphäre mit drei angehefteten Henkeln: 


Meist wird man das Anheften eines Henkels ein wenig anders beschreiben: 
statt ein Loch auszuschneiden: 

werden zwei Löcher ausgeschnitten und durch einen Schlauch verbunden: 

Es ist offensichtlich, dass die Ergebnisse (jeweils rechts) topologisch äquivalent sind!


Für g=1,2,3 erhält man folgende Flächen Fg


3. Das Anheften einer Kreuzhaube: 

Wir betrachten also den Fall eines Teilworts der Form w = cc. Wir schneiden vom Polygon das entsprechende Dreieck ab (linkes Bild) und unterteilen dabei die Basis in zwei Strecken d1 und d2. Zerschneiden wir dieses Dreieck in der Mitte (mittleres Bild) durch eine Kante e und verkleben wir die beiden c-Kanten (rechtes Bild), so sehen wir ein Möbiusband mit Rand d1d2.

Merkregel. Jedes Teilwort der Form cc bedeutet gerade das Ersetzen einer Kreisscheibe durch ein Möbiusband.

Zur Veranschaulichung empfiehlt es sich, an die bei jeder Einbettung in den R3 auftretende Selbstdurchdringung zu denken. Zum Beispiel kann man diese berücksichtigen, indem man c unterteilt, etwa c = ab schreibt, dann ist also cc = abab.
Schauen wir uns zum Beispiel ein Teilwort der Form eababe-1 an: 

Wir sehen also:  Das Ersetzen von ee-1 durch eababe-1 entspricht gerade dem Einsetzen eines M&oum;biusbands!
Möbiusbänder werden deshalb auch Kreuzhauben genannt!

Siehe:  Kreuzhaube



Als Nächstes zeigen wir eine Veranschaulichung, wie N2 ensteht: 

Für g=1,2,3 erhalten wir folgende Flächen Ng