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5.2 Euklids Elemente: drittes Buch

In diesem Abschnitt beweisen wir Resultate aus dem dritten Buch von Euklids Elementen und schließlich Satz 4.16.

In den Übungsaufgaben haben Sie bewiesen.

Proposition 5.5 (Zentriwinkelsatz). Wenn $P$ und $Q$ Punkte auf einem Kreis $k$ sind und $R \in k$ im gleichen Halbraum von $PQ$ liegt wie der Mittelpunkt $M$ von $k$, dann ist der (Zentri-)Mittelpunktswinkel $\gang PMQ$ doppelt so groß wie der Peripheriewinkel $\gang PRQ$.

Ein Spezialfall ist:

Folgerung 5.6 (Satz des Thales). Wenn zwei Punkte $P$ und $R$ auf einem Kreis $k$ gegenüberliegen, ist für jeden Punkt $Q \in k$ der Winkel $\gang PQR$ ein rechter.

Mit dem Zentriwinkelsatz können wir zeigen:

Proposition 5.7. Ist $k$ ein Kreis und $PQRS$ ein Viereck dessen Punkte auf $k$ liegen (ein Sehnenviereck), dann ist $\gang SPQ + \gang QRS = 180^\circ $.

Beweis. Nach eventueller Umbenennung können wir annehmen, dass $R$ auf der gleichen Seite von $SQ$ liegt wie der Mittelpunkt $M$ des Kreises. Insbesondere sind nach Proposition 5.5 die Peripheriewinkel $\gang PQS$ und $\gang PRS$ gleich groß, ebenso wie die Winkel $\gang QSP$ und $\gang QRP$. Nun ist aber $\gang QRP + \gang PRS = \gang QRS$ und $\gang PQS + \gang QSP = 180^\circ - \gang SPQ$ da die Winkelsumme im Dreieck $PQS$ $180^\circ $ ist. □

Daraus leiten wir ab:

Proposition 5.8 (Peripheriewinkelsatz, Euklid III.27). Wenn $P$ und $Q$ Punkte auf einem Kreis $k$ sind, dann ist der Peripheriewinkel $\gang PRQ$ für alle Punkte $R \in k$ im gleichen Halbraum von $PQ$ gleich.

Beweis. Für die Punkte im gleichen Halbraum wie der Mittelpunkt von $k$ folgt die Behauptung unmittelbar aus Proposition 5.5.

Für die Punkte im anderen Halbraum folgt sie durch anwenden von Proposition 5.7. □

Proposition 5.9 (Sehnen-Tangentenwinkelsatz, Euklid III.32). Seien $A,B,D$ Punkte auf einem Kreis $k$ und $F$ ein Punkt, der auf der Tangente an $k$ in $B$ liegt, und zwar im Halbraum von $BD$, der $A$ nicht enthält. Dann ist der Tangentenwinkel $\gang FBD$ gleich groß wie der Peripheriewinkel $\gang BAD$.

Beweis. Sei $M$ der Mittelpunkt von $k$. Dann ist $\gang FBM = 90^\circ $, also $\gang FBD = 90^\circ - \gang DBM$. Da die Winkelsumme im gleichschenkligen Dreieck $BDM$ gleich $180^\circ $ ist, ist $\gang DBM = 1/2(180^\circ - \gang BMD$. Nach Proposition 5.5 ist aber $\gang DMB = 2\gang BAD$. Zusammensetzen ergibt

FBD = 90DBM = 90 (90BAD) = BAD.

Zum Beweis von Satz 4.16 benötigen wir einige Aussagen über Kreise, die wir durch die Benutzung von Ähnlichkeiten jetzt leichter beweisen können, als wir es in Abschnitt 5 hätten tun können.

Proposition 5.10 (Sekanten-Tangenten-Satz, Euklid III.36). Sei $k$ ein Kreis und $P$ ein Punkt außerhalb von $k$. Sei $g$ eine Gerade durch $P$, die $k$ in $Q$ berührt und sei $h$ eine Gerade durch $P$, die $k$ in $R$ und $S$ schneidet. Dann ist $\abs {PQ}/\abs {PS} = \abs {PR}/\abs {PQ}$.

Beweis. Nach Umbenennung können wir annehmen, dass $R$ zwischen $P$ und $Q$ liegt. Nach Proposition 5.9 ist dann $\gang PQR \equiv \gang QSR$. Es folgt, dass die Dreiecke $PQR$ und $PSQ$ ähnlich sind. Also ist $\abs {PQ}/\abs {PS} = \abs {PR}/\abs {PQ}$. □

Proposition 5.11 (Sekanten-Satz). Sei $k$ ein Kreis und $P$ ein Punkt außerhalb des Kreises. Seien $h$ und $h'$ Geraden durch $P$, die $k$ in Punkten $R,S$ und $R',S'$ schneiden. Dann ist $\abs {PR} \cdot \abs {PS} = \abs {PR'} \cdot \abs {PS'}$

Beweis. Sei $Q \in k$ so, dass $PQ$ eine Tangente an $k$ ist. Nach Proposition 5.10 ist $\abs {PR} \cdot \abs {PS} = \abs {PQ}^2 = \abs {PR'} \cdot \abs {PS'}$. □

Proposition 5.12 (Umkehrung des Sekanten-Tangenten-Satzes, Euklid III.37). Sei $k$ ein Kreis und $P$ ein Punkt außerhalb von $k$. Seien $g$ eine Gerade durch $P$, die $k$ in $Q$ schneidet und sei $h$ eine Gerade, die $k$ in $R$ und $S$ schneidet. Wenn $\abs {PQ}/\abs {PS} = \abs {PR}/\abs {PQ}$ ist, dann ist $g$ eine Tangente und $Q$ ein Berührpunkt.

Beweis. Angenommen $g$ hätte einen zweiten Schnittpunkt $Q' \ne Q$, dann wäre nach dem Sekanten-Satz $\abs {PQ}^2 \ne \abs {PQ} \cdot \abs {PQ'} = \abs {PR'} \cdot \abs {PS'}$ im Widerspruch zur Annahme. □

Einer der Höhepunkte von Euklids Elementen ist der Beweis dessen, was wir oben vermutet haben:

Proposition 5.13 (Euklid IV.10). Jedes spitzwinklige goldene Dreieck lässt sich zerlegen in ein spitzwinkliges und ein stumpfwinkliges goldenes Dreieck.

Die Tatsache, dass sich auch jedes stumpfwinklige goldene Dreieck in zwei goldene Dreiecke zerlegen lässt, ist dann nicht mehr schwer zu sehen.

Beweis. Sei $ABC$ ein spitzwinkliges goldenes Dreieck mit $\abs {AB} = \abs {AC} = \varphi \cdot \abs {BC}$. Sei $D$ der Schnittpunkt von $A_{BC}$ mit $\seg {AB}$. Sei $k$ der Kreis durch $A$, $C$ und $D$. Es ist $\abs {AB} \cdot \abs {BD} = \varphi \cdot \abs {BC} \cdot (\varphi - 1) \cdot \abs {BC} = \varphi \cdot (\varphi -1) \cdot \abs {BC}^2$. Nach der definierenden Gleichung für den goldenen Schnitt ist aber $\varphi \cdot (\varphi -1) = 1$, also

|AB||BD| = |BC|2.

Nach der Umkehrung des Sekanten-Tangenten-Satzes, Proposition 5.12, folgt, dass $BC$ eine Tangente an $k$ ist. Nach dem Sehnen-Tangentenwinkelsatz, Proposition 5.9 ist also $\gang BCD \cong \gang CAB$.

Folglich ist nach dem Ähnlichkeitssatz $ABC$ ähnlich zu $CBD$. Insbesondere ist $CBD$ gleichschenklig und damit $\abs {BC} = \abs {CD}$, also auch $ACD$ gleichschenklig.

Nach Konstruktion ist damit $ACD$ ein stumpfwinkliges und $BCD$ ein spitzwinkliges goldenes Dreieck. □